Kreiser, 2. Studienreise

« 1 2 3 4 5 6»

auf Seiten 29-36:

An anderer Stelle äußert sich Reissiger über Rossini (Bericht): „Ich habe nun auf meinen Reisen alle Rossinischen Opern gehört, manche sehr oft, bin nun endlich ermüdet davon. Der Laie hält freilich das für gut, was er in Paris, in der Pariser italienischen Oper, in einer der ersten Städte Europas hört, allein ein Künstler wird sich, wenn er sich alles Gute, dessen Rossini wirklich nicht wenig besitzt, ins vorteilhafteste Licht zu setzen sucht, doch immer und ewig über die Fehler, die das Gute bei weitem übersteigen, ärgern. Rossinis Melodien sind leicht, reizend, er schreibt mit Gefühl, versteht den Effekt, allein seine Musik ist nie ein Ganzes, seine Opern sind keine Kunstwerke wie die eines Mozart, die vonAnfang bis zu Ende durchdacht und den Anforderungen, die Deklamation, Ästhetik usw. machen, Genüge leistet, er läßt in seiner Musik nicht selten den Traurigen fröhlich sein und macht den Greis zum Kinde, macht und behandelt oft die ernsthaftesten Gegenstände komisch und zieht das Edle ins Niedrige herab. jedoch gefällt seine Musik und sie verdient es; allein, daß sie so außerordentlich verehrt wird, ist unrecht. Rossini hat nur drei Originalopern geschrieben, den „Othello”‚ „Tancredi“ und den „Barbierc di Seviglia“, alle anderen Opern sind nur Wiederholungen und Kopien seiner früheren und sind entweder aus Geldgierde oder aus Einseitigkeit seines Talents entstanden; Jedoch glaube ich das Erstere, da ich die Ehre habe, ihn näher zu kennen.“
—–
Nebenbei sei eine Stelle erwähnt, wo Reissiger von einem der Vorläufer unserer heutigen Schutzfrist- und Tantiemegesetze Bericht erstattet (im Ministerbericht): „So schlecht es nun aber auch um die Franzosen in Ansehung des strengen Stiles steht, so sind sie im Dramatischen zu einer bedeutenden Höhe gestiegen, und es wird in dieser Gattung der Komposition viel getan, da sie sehr einträglich ist; und ich kann dabei nicht unterlassen, nicht allein die Regierung zu loben. welche so, wie für andere Künste, so auch für die Musik und besonders dramatische Komposition sehr schöne Einrichtungen gemacht hat, sondern muß eine andere besonders erwähnen, da sie von großem Nutzen ist. In Frankreich erhält jeder Komponist, sobald eine Oper von ihm gefällt, zeitlebens einen Teil der Einnahme von allen Theatern in Paris und in den Provinzen, wo sie gegeben wird, so daß ein talentvoller Musiker, der davon zwei bis drei mit glücklichem Erfolge auf die Bühne gebracht hat, anständig und sorgenfrei leben kann. Natürlich strengt sich jeder an, etwas Gutes zu liefern. Damit aber auf den vier königlichen Theatern keine unwürdigen Werke aufgeführt werden, ist ein
Komitee ernannt, bestehend aus sechs der berühmtesten Männer: Cherubini, Kreutzer, Paër, Catel, Lesueur, Boieldieu, welche über den Wert oder Unwert eines musikalischen Werks unparteilich entscheiden und die Komposition im letzteren Falle verwerfen können, in welchem sogar der Autor die Kopialien bezahlen muß, die sich immer auf 1500 Francs belaufen. Dadurch wird jeder schon abgeschreckt, der sich nicht etwas Gutes zu liefern getraut, und im Gegenteil, jeder talentvolle Künstler aufgemuntert, in dieser Gattung der Komposition alles zu wagen, um sich ein sorgenfreies Leben zu verschaffen, was einem bloßen Komponisten in Deutschland, wenn er nicht das besondere Glück hat, ein einträgliches Amt zu erhalten, nicht so leicht wird. Ebenso hat jedes Theater seine Dichter, die eine gewisse Zahl netter Opernbücher liefern müssen, die ebenfalls bei uns so schwer und mit so großen Kosten pur zu erhalten sind, und wodurch die deutschen Theater genötigt werden, zu Übersetzungen französischer Werke zu schreiten.“
——-
Im folgenden Briefe hören wir von Reissiger weiter: „Ich langweile mich schon in dem, großen Paris, wenn auch nicht als lebenslustiger Mensch, aber doch als Künstler – kurz, mir ist zumute, wie dem Wanderer, der sich an der freundlich einladenden Quelle hinlänglich gelabt hat und welchem nun die Quelle ziemlich gleichgültig geworden ist. – Das Merkwürdigste in der hiesigen musikalischen Welt ist die große Veränderung der Direktion der Königl. Theater und die Umwälzung, welche diese auf alle musikalischen Dinge gehabt hat. Die Veranlassung ist der neue Minister und Chef des Musikwesens, Vicomte Sosthènes de Rochefacault, der von der Musik nichts weiß und ihre feinen Fugen (Zusammenfügungen) nicht kennt. Als ihm Cherubini seine Aufwartung machte, mußte ihm der Bediente erst sagen: „Excellen c’est 1e Directeur du Conservatoire.” Beim Eintreten fragte ihn der Minister vornehm: „Est ce que vous avez déjà composé un opéra?“ Dieser Herr Vicomte läßt sich einfallen, die Direktion der Académie royale umzustürzen. Unter vielen anderen dankt er den braven Kreutzer ab, der noch ein sehr rüstiger Mann ist, er setzt Habeneck an dessen Stelle, der Kreutzer nicht das Wasser reicht! Diese Eingriffe geschahen, ohne daß Cherubini. Lesueur, Berton‚ Boieldieu, die Direktion dieses Theaters, im geringsten davon unterrichtet wurde. Diese vier gaben sogleich ihre Entlassung ein und Cherubini zugleich auch die seinige am Conservatoire. Es wird also große Mühe für den neuen Simson haben, das eingerissene Gebäude wieder aufzuführen. Diese Geschichte beschäftigt alle Theaterliebhaber, ebenso wie die Journale und Musiker. Letztere sprechen seit vierzehn Tagen nichts anderes, alle ihre Sinne sind darüber ins Stocken geraten. Beim italienischen Theater geht es ebenso. Dem Paër ist die Stelle als erster Direktor genommen worden. Rossini ist ihm vorgesetzt und mit 24000 Francs engagiert worden. Dieser macht Veränderungen und Neuerungen nach Herzenslust. Die ganze musikalische Theaterwelt ist in Aufruhr versetzt worden.“
Beinahe hätte Reissiger hier in Paris die Bühnenlaufbahn ergriffen. Wir lesen: „Die Aufforderung Paërs, als Sänger zum italienischen Theater zu gehen, ist bei mir gehörig überlegt worden, aber diese Revolution hat mir das Theater etwas verleitet, so daß ich wohl nie ein sogenannter Theaterheld werden möchte! Obgleich Rossini sehr viele italienische geübte Sänger engagiert hat, so würde er gern auf mich reflektiert haben, aber, wie gesagt, ich fühle keine rechte Lust dazu in mir und will lieber den Weg gehen, den mir Berlin. gezeigt hat, obgleich ich keine rechte Spur von ihm kenne und nicht ganz eigentlich weiß, wohin er mich führen wird! Mein Entschluß ist, Mitte Januar über Lyon, Turin nach Mailand zu reisen. dann Genua zu sehen, von da über Florenz nach Rom zu gehen und dort während der Karwoche zu bleiben. Ob ich Neapel werde berühren können, wird von der Güte des Ministers abhängen. Ich habe ihm ein sehr wahres Gemälde von 500 Talern gemacht, die in Paris allein draufgehen, wenn man dorthin reisen, leben – hören – sehen und sich kleiden soll, um anständig zu leben, zu hören und zu sehen! lch hoffe, der Minister wird mir gewiß noch 200 Taler zulegen und mir noch ein Jahr Urlaub geben. Wäre ich nicht in preußische Dienste getreten, so böte mir Paris jetzt ein sorgenloses Leben an. Ich könnte sehr vorteilhafte Stunden geben, und meine Kompositionen würden mir viel einbringen, wenn ich mich in die Franzosen schicken will! —– Meine Eltern sind sehr betrübt. da mein ältester Bruder Carl (d. h. von den zwei jüngeren Brüdern der ältere) noch immer krank ist, indem er an Geisteszerrüttung leidet. Sie können sich denken, wie diese Krankheit meine armen Eitern ängstigt. Ihre beschränkten Mittel erlauben ihnen kaum, ihn im großen Krankenhaus in Brandenburg zu erhalten. Möchte ich nur bald etwas über seine Genesung hören! Wie gern möchte ich meine Eltern unterstützen! Wenigstens wünschte ich, ihnen 50 Taler zu geben, und ich bitte Sie, meinen Eltern 50 Taler auszahlen zu lassen. Mein drittes Trio wird mir wohl wieder etwas eintragen. Auch sind wohl noch andere Sachen bald fertig, die in Deutschland etwas eintragen!“
——-
In dem nächsten Briefe (vom l4. Januar 1825) schreibt Reissiger: „Meine Abreise von hier wird sich wohl bis zum 20. verzögern. Ich hoffe nur noch einen Brief vom Minister zu erhalten, allein es scheint, daß ich nicht darauf warten kann und lieber das Gewisse für das Ungewisse nehmen muß – d. h. Italien mit dem vorhandenen Gelde zu sehen, als hier länger mein Geld zusetzen und am Ende aller Enden wegen der gebetenen Zulage eine abschlägige Antwort zu erhalten – ohne Italien sehen zu können! – Wenn mein Trio bei Peters erschienen ist, so haben Sie die Güte, sich zwei
Exemplare für mich zu erbitten und eins davon unfrankiert an Mr. Farrenc, auteur et éditeur de musique à Paris, zu schicken, der es nachstechen wird, da er mein zweites gekauft hat und sich wegen des dritten, welches ich hier geschrieben, vielleicht noch arrangieren wird. Kalkbrenner ist jetzt hier, wir haben uns liebgewonnen und sind viel zusammen.“
Am 26. Januar verließ Reissiger die Seinestadt, nicht ohne vorher seinen Freunden in Berlin noch einmal von sich Bericht erstattet zu haben; „Ich benutze die wenigen Augenblicke, die ich vor meiner morgen stattfindenden Abreise meinen vielen Abschiedsvisiten und Passgängen abgewinnen kann, um Sie noch von der Art meines Weggehens zu unterrichten. Mein Aufenthalt war für mich sehr lehrreich und würde einträglich geworden sein, denn ich hätte jetzt eben durch die Gräfin Merlin usw. sehr bedeutende Lektionen oder vielmehr einträgliche Lektionen in bedeutenden Häusern bekommen. Mit dem Verleger Farrenc habeich für 800 Franks Geschäfte gemacht. Ohne dies wäre ich nicht imstande gewesen, weiter zu reisen. Er bedauert, daß ich schon jetzt weggehe und hat bei mir noch ein Quintett, ein Quartett, ein Trio und eine Sonate mit Violine bestellt, wofür ich gleich Geld kekomme, wenn ich ihm das Manuskript einschicke. Für Schlesinger habe ich einige Kleinigkeiten geschrieben und dann und wann eine Korrektur übernommen. Er wird mich sehr vermissen. Mein hiesiger Aufenthalt hat mich 1330 Franks gekostet, und ich habe noch 300 Franks bar in der Tasche, gedenke also erst in Turin das erste Reisegeld zu heben.
Es war für mich sehr nötig, etwas zu verdienen. wie hätte ich sonst nach Italien kommen können? Sollte mir wohl der Minister die sicheren Hoffnungen. Ersetzen können, welche sich mir in Paris darboten? Sollte er mir gute Aussichten für Paris zeigen? In Paris kann ein fleißiger Musiker sein Brot spielend verdienen. Man bekommt 10 bis 15 Franks für die Lektion, und mit Kompositionen kann man sich einen Sparpfennig zurücklegen; Wenn ich Paris gekannt hätte, so hätte ich das Ding angegriffen. Aber die kgl. Mittel waren allerdings der Hebel, durch den ich hierher kam. – Es durchkreuzen sich bei mir die Sorgen mit den Hoffnungen des Lebens! Ich bedauere, daß ich jetzt fortgehen soll, wo ein jeder zuredet, zu bleiben und hier mein Glück zu machen, wo es mir anfängt zu blühen. ….

« 1 2 3 4 5 6»

13. 2. 2014 von Christian