Daß Reissiger bestrebt war und es sein mußte, die Leistungen des königlichen Instituts auf die höchste mögliche Höhe zu bringen, so daß Dresden schließlich im Laufe der dreißiger Jahre die führende Oper besaß, hat auch seinen Grund in dem gerade damals hochgehenden geistigen Leben der Stadt selbst. Eine seltene Vereinigung von großen Künstlern und Gelehrten, die ja dann auch noch während Wagners Dresdner Zeit (vierziger Jahre) weiter bestand, bildete sich jetzt. Um einige glänzende Namen zu nennen, seien von den bildenden Künstlern genannt: Rietschel, Semper, L. Richter, Hübner, Bendemann, später Hähnel, von den Dichtern: Tieck, Tiedge‚ Julius Hammer, Reinick, F. Kind und Th. Hell mit ihrem Kreise, später noch Auerbach, Gutzkow, Roquette, der nordische Märchendichter Andersen, O. Ludwig, von Gelehrten: den Begründer der Bibliothekswissenschaft Hofrat Ebert, Hofrat Böttiger, Wolf Graf v. Baudissin. …….
Reissiger verstand es, die größten zeitgenössischen Künstler nach Dresden zu ziehen. In gesangskünstlerischer Hinsicht hatte er ja, da er selbst Gesang studiert hatte, ein maßgebendes Urteil und konnte infolgedessen ein glänzendes Ensemble zusammenstellen: Tichatschek, Mitterwurzer, Scaria, WiIhelmine Schröder-Devrient, Maschinka Schneider, Henriette Wüst, um nur die allergrößten Namen zu nennen. Dazu ließ ihn seine Orchester und lnstrumentalkenntnis u. a. den Violinisten Lipinski‚ den Paganinirivalen, Cellisten wie Dotzauer, Kummer, den Klarinettisten Kotte, „eine Zierde Deutschlands”, den Flötisten Fürstenau, die Hornisten Haase und Levy, alles berühmteste Virtuosennamen der Zeit, in die Kgl. Kapelle berufen oder sie derselben erhalten. Ja Lipinski, der bei seiner Berufung 1839, trotzdem er 49 Jahre alt war, auf vollster künstlerischer Höhe stand und nur noch Paganini neben sich hatte, erschien Reissiger beinahe zu alt, so scharf war dessen kritisches Urteil bei Anstellungen und so groß die Fürsorge für die Zukunft seines Orchesters. In den Sommermonaten, wenn manche der großen Künstler auswärts gastierten, sorgte Reissiger für Heranziehung fremder guter Kräfte als Ersatz.
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In den Salons der Dresdner Herrschaften, der Bankiers Oppenheim und v. Kaskel und vor allem des Majors Serre, war Reissiger musikalischer spiritus rector. Die Töchter Kaskels waren besonders musikalisch. Ihnen widmete Reissiger auch einige Gesänge. Der bekannteste Dresdner Salon war der des Majors Serre. Serre wurde infolge seiner Tätigkeit für die Schiller-Lotterie und die Tiedge-Stiftung in ganz Deutschland genannt. Auf seinem Landsitze in Maxen bei Dresden versammelten sich im Sommer, in der Stadtwohnung im Winter alle in Dresden ansässigen oder auch nur auf der Durchreise hier weilenden führenden Geister.
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In diesen Salons erfuhren viele Kammermusikwerke Reissigers ihre Aufführung, und wir müssen in der Beurteiiung der Kompositionen sehr wohl in Betracht ziehen. daß ein Teil derselben, nicht alle, gleich für die Aufführung in den geselligen Kreisen berechnet waren. das heißt: der Aufwand an motivisch-kontrapunktischer Arbeit nicht zu groß durfte, um das Verständnis nicht allzusehr zu erschweren. Reissiger konnte ja bei seiner soliden musikalischen Durchbildung auch wirklich „gearbeitete” Werke liefern, wie manches Beispiel zeigt, aber sie wären hier, wo es mehr auf eine gesellige Unterhaltung ankam, nicht so am Platze gewesen. Das musikalische Leben der geschlossenen Zirkel führt uns nun überhaupt zu der Frage des Dresdner Konzertlebens der Reissigerzeit.