Kreiser, Reissiger und Wagner

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Reissiger war nun nicht der Philister, als den man ihn gern hinstellt; als Mensch schon gar nicht, infolge seiner lebenslustigen „jovialen“ Art, durch welche er bei allen, vom entfernten Bekannten bis zum geringsten Untergebenen, geschätzt war, was alle Zeugnisse belegen. Dabei zeichnete ihn zugleich eine moderne Allgemeinbildung aus. Als reproduzierender Künstler ebenfalls nicht; denn dagegen spricht sein Eintreten für unbekannte, moderne Komponisten, was auch Wagner an sich selbst erfahren hatte. Als produzierender Künstler strebte er auch nach vorwärts; er schrieb selbst auf ein Albumblatt: „Die Kunst leidet keinen Stillstand.“ Nur blieb hier hinter dem Wollen – eine Tragik für ihn – die Kraft der Begabung zurück, so daß er über einen Klassizismus nicht hinauskam. Wer aber kann ihm das zum Vorwurf machen? Programmouvertüren, Lieder ohne Worte belegen das Streben nach Anschluß an die neue Zeit. Den Neudeutschen aber war er sogar sehr freundlich gesinnt, was wir aus folgendem Briefe an seinen Schüler Raff (Sohn genannt) deutlich entnehmen können: „Daß in Weimar durch Liszt ein reges Musikleben begonnen hat und derselbe viele junge Virtuosen hingezogen, freut mich absonderlich. Papa meint, wenn nur durch die Herren Leipziger nicht auch die exklusive Partei, die nur Mendelssohn und Schumann und ähnliche Meister verdauen kann, nach Weimar transloziert wird?! Ob die Herren auch die Schere zur Phantasiebeschneidung und zum neuromantischen Formengewühl und die Schnürbrust zur Bewegung des Herzens und seiner melodiösen Ergüsse mitgebracht haben?” Weiter unten heißt es: „Grüße er Liszt von mir aufs Hochachtungsvollste und Freundschaftlichste.” Und hätte Reissiger, wenn er sich nicht innerlich zur neuen Kunst hingezogen fühlte, etwa gewagt, im Jahre 1852, drei Jahre nach Wagners Flucht von Dresden, den Tannhäuser, der bei der Uraufführung 1845 nicht einmal durchgeschlagen hatte, wieder einzustudieren, in einer Zeit, in welcher man noch nicht wissen konnte, wie der Versuch abläuft. Tatsache war ja auch, daß „Hof und Adel sich demonstrativ fernhielten und in regierungstreuen Lokalblätttern eine heftige Polemik gegen die landesverräterische Oper anhob.“ {Glasenapp H, 439.) Weissiger gab damit einen Beweis für die Bewahrung seiner künstlerischen Freiheit und auch Neidloisigkeit, denn Neid vermutete Wagner immer bei Reissiger. Wir haben aber die Empfindung, als wäre die andere Partei nicht ganz neidlos gewesen. Reissiger wurde um seine Stellung und sein Ansehen als Komponist beneidet. Er hatte es mit seiner kleinen Kunst leichter, als Komponist Erfolge zu erlangen, während Wagner mit seiner großen Kunst so schwer um Erfolge ringen mußte.

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20. 2. 2014 von Christian