Kreiser, Reissiger und Wagner

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auf Seiten 83-84 :

Dazu kamen gerade in der Dresdner Zeit offensichtliche Mißerfolge Wagners als Dirigent. Abgesehen von dem allerhöchsten Tadel wegen einer mißlungenen Meßaufführung unter Wagner, der dem Dirigenten mitgeteilt werden mußte (1844), ferner um den Kritiken an Wagners Temponahme in Mozartschen Werken, so gibt doch der eine Fall der Tempov4rzerrung in den Hugenotten, welche noch nicht lange vorher unter Meyerbeers persönlicher Anleitung einstudiert waren, zu denken. Wagner war aber als Schaffender eine viel zu starke Individualität, um als Reproduzierender noch genügende Objektivität für andere Individualitäten aufbringen zu können. Damit erledigen sich auch gleich Wagners Vorwürfe gegen Reissigers Auffassung des Menuettsatzes in der achten Beherhovenschcn Sinfonie, wo bekanntlich Mendelssohn mit Reissiger übereinstimmte, während Wagner in eine „Leere“ zu blicken glaubte; sowie gegen Reissigers Orchesteraufstellung. Das spielt so sehr in das Gebiet der subjektiven Dirigentenauffassungen, in welchem unbedingte letzte Richtersprüche nicht fällbar sind, hinein, daß die Sache auf sich beruhen bleiben kann. Es führen viele Wege nach Rom. Reissiger hatte auch selbst das Orchester schon immer anders gesetzt, um den Klang zu probieren, und das tut bis auf den heutigen Tag fast jeder Dirigent nach seinem Ohre.
Als Interpret eigener Werke und als Beethovendirigent glauben wir, daß Wagner eine kongeniale Leistung schuf, da er dem faustischcn Titanen verwandt war. Im allgemeinen aber wird Reissiger als Dirigent über Wagner gestanden haben, da er wandlungsfähiger in viele Stilarten sich hineinlebte. Er hatte eben keine so ausgesprochen subjektive Eigenart, die, wie bei Wagner, im Wege gewesen wäre. Die Lobpreisungen der Dirigententägkeit Reissigers beginnen gleich bei seinem Antritt in Dresden (1826) und sind nicht besondere Machenschaften einer Antiwagnerpartei der vierziger Jahre. Schon in Reissigers ersten Jahren, als noch die frische Weber-Tradition in der Erinnerung lebte, wird, wie wir an der betreffendenStelle wörtlich angeführt haben, hervorgehoben, daß Reissiger seinem Vorgänger getreu in der Auffassung nachkommt. Wagner will ja Reissiger auch das absprechen. Es soll eben immer nur seine auffassung die einzig mögliche sein.

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20. 2. 2014 von Christian