Kreiser, Reissiger und Wagner

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auf Seiten 85-86 :

Wäre Reissiger nicht in dauerndem Verhältnis zu Wagner gewesen, sondern nur, wie etwa Spohr, gelegentlich einer Aufführung eines seiner Werke (Holländer) einmal mit ihm zusammengekommen, so hätte er, der Wagner viel größeren Dienst geleistet hatte (Rienzi-Annahme und Befürwortung der Anstellung), von diesem vor der Nachwelt dasselbe günstige Urteil erhalten wie ein Spohr. Aber wer dauernd im Umkreise des Tyrannen zu sein gezwungen war, also das Meiste zu leiden hatte, dem wurde der größte Undank zuteil Wagner ging die Erkenntnis ab, welcher Liszt durch Änderungides Wortes: „noblesse oblige“ in: „génie oblige“ Ausdruck verlieh, und wonach Liszt so edel handelte. Allerdings ist der Fall des rücksichtslosen Genies die Regel und der Liszts die ideale Ausnahme. Reissigers Lebenskunst ließ ihn auch dann noch, nachdem Wagners Wesen immer schroffer wurde, ruhig bleiben und alles für sich verwinden. Aber mit Wagner war eben ein echt kollegiales Verhältnis, wie das mit Morlacchi und Rastrelli, doch nicht möglich. Trotzdem läßt Reissiger sich das Wohlwollen für Wagner nicht trüben, wir lesen in einem Briefe an den Verleger Böhme (Peters) 1847: „ . . . ich blieb daher noch acht Tage in Berlin und projektierte noch einige Tage in Dessau und Leipzig angenehm zu verleben, allein mein Kollege Wagner bat mich flehentlich, zurückzukehren, weil er seinen „Rienzi” in Berlin einstudieren wolle. Da mußte nun der arme Reissiger hübsch kollegialisch verfahren und alle seine Pläne aufgeben.“ Wagner genoß auch oft monatelangen Urlaub, um Ruhe für sein Schaffen zu finden, währenddessen ihn Reissiger, der diese Vergünstigung nicht in dem Maße erhielt, geduldig vertrat. Am 4. Juli 1848 schreibt Reisiger an Lüttichau, welcher Wagner den Urlaub verweigert hatte: „Wenn nun mein Kollege, wie er sich ausdrückt, nur in Gottes Freier, schöner Natur, fern vom Weltgewühl, geistig und körperlich gesunden kann und nur durch die Verlängerung des Urlaubs Heilung möglich ist, so darf ich Ew. Exzellenz nicht lange um Vorenthaltung seines erbetenen Urlaubs angehen! Möge er in zwiefacher Hinsicht gesunden. Da ich minder krank als Wagner bin, so ist es meine Pflicht, unter diesen Umständen von meiner eigenen Kur abzustehen und die Besserung meiner Lage einer günstigeren Zeit zu überlassen.“ Ein Aufsatz zum hundertsten Geburtstage: Reissigers (von Brescius, Dresdner Anzeiger 1898) zitiert treffend ein Hans-Sachs-Wort aus den Meistersingern: „Hat man so je einen Feind bedacht?“
Es gehörte fast mit zu Reissigers Beruf, seine Kollegen auf lange Zeiten zu vertreten (schon Morlacchi), so daß sich in den vierziger jahren Folgen seiner früheren Übe-ranstrengungen bemerkbar machten, und er trug sich, wie wir sehen werden, 1854 bereits mit Rücktrittsgedanken.

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20. 2. 2014 von Christian