Kreiser, Der Komponist

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auf Seiten 99-101 :

Das für den Komponisten Reissiger am wenigsten glückliche Gebiet war die Oper. Es ist charakteristisch in der Musikgeschichte, daß fast alle Komponisten, mit nur wenigen Ausnahmen, nach Erfolgen auf der Bühne streben. Wie ein Dämon schwebt die Oper allen als ein verlockendes Ziel vor Augen, sie bietet eben die Möglichkeit, sein Können zu gleicher Zeit von recht vielen Seiten zu zeigen.
Bei Reissiger können wir den Wunsch nach der Bühne besonders verstehen, da sie ihm durch seinen Beruf nahe lag. Er spricht sogar einmal von seiner großen Vorliebe zur dramatischen Komposition. Reissiger besaß, wie z. B. auch Rellstab behauptete, dramatische Veranlagung, aber nur bis zu einem gewissen Grade. Balladen haben energische, dramatische Stellen. Einige Sätze der Kammermusik (F-Moll-Quartett‚ Cellosonate op. 152) erheben sich zu dramatischem Schwung. Selbst die Schauspielmusik zu „Yelva“ ist, wie wir gesehen haben, dramatisch als äußerst gelungen zu bezeichnen gewesen. Aber gerade eben nur bis zu der Höhe einer Schauspielmusik langte die dramatische Begabung. Zu größeren dramatischen Wirkungen, wie sie eine Oper verlangt, war Reissiger, der vorwiegende Lyriker, nicht geboren. Allerdings ist das Mißgeschick zu berücksichtigen, daß Reissiger niemals einen so dramatischen Vorwurf, wie Yelva als Schauspiel war, für eine Oper erlangte. Die Libretti der „Libella“ (Theophania = Frl. v. Brochowska)‚ der „Felsennmühle“ (Miltiiz), Turandot” (nach Schiller), „Adéle de Foix“ (Blum). „Schiffbruch der Medusa“ (Kriete)”) sind doch mehr oder weniger Schablone. ——- Daß bei solchen Vorlagen der Komponist nicht zu größeren Impulsen kam und Reissiger mit seinem musikalischen Mischstil, der in den Opern vor allen Dingen hervortritt und eben doch der persönlichen Note entbehrt, die Werke auch nicht mehr emporreißen konnte, leuchtet ein. Höchstens sind die Rezitative als dramatisch gelungen in der Musik zu bezeichnen. Unglücklich war es auch, Stoffe, die schon viel besser bearbeitet waren, in Umarbeitung als neue Vorlage zu verwenden.
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Formell sind die Opern in alter Nummernmamier angelegt. Eine eingehende Untersuchung wird nun sicher unter den einzelnen Nummern, wenn sie für sich, ohne Rücksicht auf den daramatischen Zusammenhang genomnten werden, musikalisch sehr wirkungsvolle Stücke finden lassen. Wie wäre auch sonst der zeitliche Erfolg der Reissiger-Opern zu erklären, welchen die Verbreitung und die Aufführungszahlen belegen? Nicht nur der Mangel an besseren Opern in der Zeit zwischen Weber und Wagner kann es gewesen sein. Es wird doch immerhin manches Gute darin gesteckt
haben. Sonst hätte nicht ein Mann wie Weber Reissiger 1824 eingeführt, sonst wären nicht die Melodien der Opern für so mannigfache Besetzungen (Trios, Quartette, Militärkapellen, ferner in Paraphrasen, Transkriptionen für Klavier zwei- und Vierstimmig) bearbeitet worden. Wir glauben, daß besonders die französische Rhythmik, die Reissiger ausgezeichnet: nachahmte, gezündet hat. Im übrigen war ihm Spontini Vorbild.
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Die rein instrumentalen Teile, wie Ouvertüren, waren, wie berichtet, über ganz Europa verbreitet. Die Yelva-Ouvertüre wurde, wie nebenbei bemerkt sei, von Spohr besonders geliebt, und dieser führte sie oft auf.
Zu bedauern bleibt, daß Reissiger keine komische Oper geschrieben hat. Sie wäre jedenfalls wertvoller geworden, da er dazu angeborene innere Werte mitgebracht hätte. Psychologiseh interessant ist es, daß er sich die Komposition einer komischen Oper einfach nicht zutraute. 1830 wurde ihm ein komisches Libretto zugesandt, worauf er in einem Briefe antwortete): „ . . aber ich zweifle, daß ich die erforderliche vis comica oder komische Ader besitze und die lebhafte Phantasie der musikalischen Malerei in der Gewalt habe. Marschner hat sich gerade in seinem „Templer“. nach meiner Überzeugung, mit dem größten Glück in diesem Genre versucht. Ihn allein könnte ich Ihnen als ihres Werkes würdig vorschlagen.“ Als Grund der Ablehnung gibt Reissiger noch an, daß er noch nichts „in diesem Genre geliefert hätte“, was beifällig aufgenommen worden wäre. Und gerade mit komischen Liedern hatte er so großen Erfolg.

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20. 2. 2014 von Christian