Kreiser, Der Komponist

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auf Seiten 101-103 :

Einige Worte seien noch den rein instrumentalen Kompositionen gewidmet. Unter ihnen war der größte Beifall den Trios, Quartetten und Quintetten beschieden, also der Kammermusik. Wie aus einem früheren Kapitel zu ersehen ist, war ein Teil dieser Werke für die Gcsellschaftsabende in den Dresdner Salons berechnet. Sie durften demnach nicht allzu große Schwierigkeiten für das Verständnis bieten. Gefällige Melodien, einige rhythmische Pikanterien mit untermischt, genügten vollkommen. Die Werke ähneln einander alle, denn der Komponist brauchte nur mechanisch seine gewandte Hand schreiben zu lassen. So sehr viel Zeit konnte er sich ja als überlasteter Kapellmeister für die bestellten Sachen auch gar nicht nehmen. Es sind meist dieselben Wendungen, Transpositionen, die immer wiederkehren. Rob. Schumann spricht einmal von Favoritgängen, die alle Komponisten zeitweilig verarbeiten. So ist es auch bei den Reissigerschen Trios und Quartetten dieser ersten Art. Dabei ist die Form als Ganzes glatt und abgerundet. „Will man aber im Triostil sicher und rund schreiben lernen, so nehme man sich z. B. die neuesten Trios von Reissiger zum Muster“,
schreibt Schumann an anderer Stelle (Ges. Schriften I. ‚Bd). Reissiger, der sich an den Klassikern geschult, war nun aber doch ein viel zu solider Musiker, um sich etwa für seine Person mit den Gelegenheitsstücken zufrieden zu geben. So haben wir denn von ihm auch Kammermusik erhalten, in der bei gesunder, wenn auch nicht gerade leidenschaftsgewaltiger‚ thematischer Erfindung in den Durchführungsteilen eine gediegene, motivisch kontrapunktische Arbeit anzutreffen ist. Romantische Einflüsse sind dabei trotz der klassischen Faktur nicht ausgeschlossen, indem man z. B. Triolen, Sextolen, Synkopen usw. häufig begegnet. Wir können Reissiger, den Kammerkomponisten, vielleicht neben den seinerzeit sehr berühmten Onslow (1784 bis 1854) stellen: d. h. er war in den „gearbeiteten“ Sätzen ein tüchtiger Beethovenepigone. Heute sind seine Sachen ein an Konservatorien noch beliebtes Übungsmaterial.
Erwähnen müssen wir noch, daß Reissiger, wie beim Liede durch Pflege von Kammerqesängen, so auch in der Instrumentalmusik durch Arbeiten für Bläsersolisten ein selteneres Gebiet bebaute. Von Haydn, Mozart, Weber waren Bläserkonzerte bekannt. Sein direkter Lehrer, P v. Winter, schrieb als ehemaliger Mannheimer auch Bläserkammermusik. Reissiger wird aber mit Schumann so ungefähr der letzte Kemponist gewesen sein, der ganze Konzerte oder Konzertszenen für Klarinette, Flöte oder Waldhorn geschrieben hat. Er hatte ja in seinem Orchester die bedeutendsten Vertreter für diese Instrumente (Kotte, Fürstenau, Haase, Lewy) und schrieb ihnen die Werke auf den Leib.
Werke Reissigers für ganzes Orchester haben wir schon durch Erwähnung der Opernouvertüren genannt. Wie bei einem in allen Sätteln gerechten Kapellmeister nicht anders zu erwarten, beherrschte Reissiger natürlich den Satz des klassischen Orchesters vollständig. Er hat aber eine kleine Entwicklung in der lnstrumentierung von einer etwas dickeren, überladeneren zur einfach klar durchsichtigen, wie sie allen späteren Werken eignet, erlebt. —— Formal sind die Opernvorspiele sogenannte Potpourriouvertüren mit effektsicherem Aufbau. Kraftvoll energische Stellen wechseln geschickt mit weichen Gesangslinien. Eine besondere Art Ouvertürcn, die wohl den von Mendelssohn gepflegten Konzertouvertüren zu vergleichen ist, haben wir in den „Ouvertüren mit einem Motto“ vor uns. „Was mir wohl übrig bliebe‚ wenn alles von mir flieht, es bleibt noch die Liebe und mit ihr manches Lied“, ist z. B. das Motto einer „À Mr. Le Docteur Spohr“ gewidmeten Ouvertüre, Ein anderes Motto lautet: „ich lasse Euch Eure Freude.“
Wir könnten, wenn wir nicht schon andere Beweise hätten, durch diese programmatischen Kompositionen auf das Mitgehen Reissigers mit der Moderne schließen. Die „Lieder ohne Worrte“ für Klavier, die er genau wie Mendelssohn schrieb, belegen es ebenso.
Einen zeitlichen Erfolg hatte Reissiger mit seiner Sinfonie. (der einzigen), die er für den vielgenannten Wiener Preisbewerb 1835 schrieb. Die Preisrichter hatten damals bekanntlich den Beweis erbracht, wie sehr sich ein Richterkollegium irren kann, indem sie F. Lachner den ersten Preis erteilten. Reissiger, der sich das erste Mal als Sinfoniker versuchte, wird auch nicht die beste Leistung gebracht haben (vergl. aber das Urteil Löwes im übernächsten Kapitel), aber der gediegene Satz und die fließende Melodik verhalfen der Sinfonie in ca. zehn deutschen Städten (Berlin, Halle, Leipzig, Potsdam, Erfurt, Wien u. a., sogar auf dem Quedlinburger Gesangsfest 1838) zu erfolgreicher Aufführung. Wir verzeichnen von den Kritiken nur das, was Schumann (Ges. Schriften 2. Bd.) über die Leipziger Gewandhausaufführung sagt: „Bei weitem aushaltender an innerer Kraft als die Lachnersche, kürzer, anspruchsloser, schlägt sie vielleicht noch zu sehr in das Gebiet der Ouvertüre hinüber. Da der stattliche Kapellmeister selbst dirigierte, so war die freudige Aufnahme eine natürliche und ganz an der rechten Stelle.“An anderm Orte nennt Schumann die Sinfonie wegen ihrer kleinen, niedlichen Form eine Sonate für Orchester.

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20. 2. 2014 von Christian