Nachruf Deutscher Bühnenalmanach

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Man kann wohl sagen, daß erst hier das bedeutende Talent des jungen Komponisten in seinem ganzen Umfange anerkannt wurde. Es öffneten sich dem Künstler alsbald die besten Kreise der Gesellschaft. Minister Altenstein, Staatsrat Körner, General Witzleben interessierten sich lebhaft für ihn. Nicht nur dem Beifall, welchen er als Komponist und Virtuos in öffentlichen Konzerten davontrug, mehr noch ihrer warmen Fürsprache hatte er es zu danken, daß der kunstsinnige, hochselige König von Preußen ihm die Mittel zu einer Bildungsreise nach Italien und Frankreich bewilligte. Ehe er diese Reise antrat, schickte er die soeben vollendete italienische Oper „Didone“ nach Dresden. Karl Maria von Weber betrieb mit hingebendstem interesse ihre Einstudierung. In kurzen Zwischenräumen wurde sie mehrere Mal mit großem Beifall aufgeführt. Im Juli 1824 trat endlich Reissiger seine Kunst- und Studienreise über Holland nach Paris an. Seitens des Königl. Preußischen Ministeriums war an diese Reise ein Auftrag geknüpft. Reissiger sollte sich die genaueste Einsicht in die musikalischen Bildungsanstalten Frankreichs und Italiens verschaffen und darüber monatliche Berichte nach Berlin einsenden. Dies verzögerte seinen Aufenthalt in Paris. Von Pariser Verlegern wurden ihm mehrere ehrenvolle Aufträge und durch dies die Mittel zu Teil, seine Anwesenheit in Paris auszudehnen. Ende Februar 1825 ging er erst über Turin, Genua, Mailand, Bologna und Florenz nach Rom. Dort blieb er die Karwoche und das Osterfest. Dann wandte er sich nach Neapel. Nach vierwöchigem Aufenthalt kehrte er nach Rom zurück, wo er, angezogen durch die von dem damaligen Preußischen Ministerresidenten Bunsen eingeleitete Bekanntschaft mit dem Musikgelehrten Abbé Baini, länger verweilte, als er eigent-lich beabsichtigte. Sein Aufenthalt in Rom blieb jedoch nicht ohne Resultat. Hier vollendete er seine Oper „Der Ahnenschatz“ (Text von Döhring), deren Sujet jedoch mit Weber’s „Freischütz“ so verwandt war, daß sie, ähnlich wie die Spohr’sche Komposition desselben Textes, nirgends zur Aufführung kommen konnte. Die Ouverture, in glänzestem Stil geschrieben, hat sich jedoch lange in der Gunst namentlich der Dresdener Musikfreunde erhalten. Nach Berlin zurückgekehrt, erhielt er den Auftrag, den Plan zu einem großen Konservatorium für den Preußschen Staat zu entwerfen. Dieser Plan erhielt den Beifall der von dem Ministerium berufenen Kommission, kam jedoch aus anderen Gründen nicht zur Ausführung. Reissiger teilte in Berlin seine Zeit zwischen Kompositionen neuer Opern und Unterrichtgeben. Neben Zelter, Klein und Bach fungierte er als Lehrer an dem Königl. Musikinstitut.
Das Jahr 1826 bildete den Übergang aus einem unsteten Wanderleben in die festen Bahnen einer geregelten, mit Ehren reich geschmückten Tätigkeit. Zwei glänzende Rufe gingen zu gleicher Zeit an ihn. In Haag sollte er ein Konservatorium gründen, in Dresden in des nach Hannover abgegangenen Marschner Stelle als Musikdirektor am Hoftheater treten. Liebe und Dankbarkeit, welche ihn an das engere Sächsische Vaterland knüpften, ließen ihn dem letzteren Rufe folgen. Im November trat er, von Karl Maria von Weber eingeführt, sein neues Amt an. Seiner nie ruhenden Tätigkeit eröffnete sich ein großes Gebiet. Nicht nur die Leitung der Proben und Aufführungen der deutschen Oper wurde ihm übertragen, während Morlacchi’s, des italienischen Kapellmeisters, Abwesenheit und Kränklichkeit hatte er auch noch die damals bestehende italienische Oper zu dirigieren.
Reissiger entwickelt in dieser Doppelstellung eine ungemeine Energie. Tiefe Einsicht in die Sache und kluge Besonnenheit in Beherrschung des Orchesters gingen mit Frische und Lebendigkeit Hand in Hand. Der König von Sachsen ernannte ihn wegen dieser ausgezeichneten Befähigung schon im Jahre 1827 zum Kapellmeister. In dieses Jahr fällt auch neben einer Messe die Komposition des Melodrama’s „Yelva“, das durch die seelenvolle, durchweg melodiöse Musik in ganz Deutschland schnell beliebt ward und noch gegenwärtig auf dem Repertoire fast jeder Bühne zu finden ist. Ebenso gefiel die bald darauf folgende Oper „Libella“ in Dresden, und als der Klavierauszug erschien, waren die musikalischen Zeitungen, an ihrer Spitze die Leipziger, voll des Lobes. Die Aufführung wurde durch die sehr schwierige Besetzung mit 5 Solosopranen für viele Bühnen zur Unmöglichkeit und deshalb die weitere Verbreitung der Oper erschwert. Seine demnächst folgende Oper „Die Felsenmühle“ gewann ihm eine weit verbreitete Popularität. An allen Orten, in Dresden, Berlin, Leipzig, Breslau, Kopenhagen usw., gewann sich die schöne Musik in alle Herzen, daß sie bald in den verschiedensten Arrangements ein Gemeingut der gesamten musikalischen Welt wurde.
Nach Morlacchi’s Tode übernahm Reissiger gemeinschaftlich mit Richard Wagner die Leitung der Dresdener Oper. Es wurde ihm in dieser ausgezeichneten Stellung das seltene Glück zu Teil, sein 25jähriges Dienstjubiläum im Jahre 1851 zu feiern. Bei Gelegenheit desselben ernannte ihn der König von Sachsen in ehrender Anerkennung seiner Verdienste zum ersten sächsischen Hofkapellmeister.

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09. 3. 2014 von Christian