Nachruf Unsere Tage

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Seine vieljährige Tätigkeit als Kapellmeister in Dresden schloß sich würdig an Weber’s Wirken an, besonders durch die sorgliche Pflege der deutschen Musik, welcher Weber an jener Bühne der italienischen Oper gegenüber erst eigentlich Geltung verschafft hatte. Als Dirigent gewährte er den Ausführenden, wie der Korrespondent des Dresdner Journals sagt, „ein Gefühl unbegrenzter Sicherheit. Mit fein nachfühlender und tief eindringender künstlerischer Auffassung und mit klarer Vorstellung wußte er genau, wie er jedes Werk in der Produktion gestalten lassen wollte, und verstand dasselbe charaktervoll und dem eigensten Geiste nach zur Geltung zu bringen. Er bot den Ausführenden Gelegenheit, sich im einzelnen frei und doch einheitlich zu bewegen.“ Wenn er bei seiner Vertretung der deutschen Musik auch mit dem Italiener Morlacchi manchen Kampf zu bestehen haben mochte, so war doch ihr gegenseitiges Verhältnis freundschaftlich; ebenso Reissiger’s spätere Stellung zu Wagner, dessen Tannhäuser er noch 1852 auf’s Sorgfältigste wieder neu einstuduerte. Seit der Anstellung des Kapellmeisters Krebs zog er sich nach und nach mehr von der Operndirektion zurück und beschränkte seine Tätigkeit bei der Bühne nur auf Werke der vorzüglichsten Meister in der Oper, Gluck, Mozart, Cherubini, Weber u. A., sowie auf die Leitung der Musiken in der katholischen Hofkirche. Mit besonderer Vorliebe jedoch beschäftigte er sich mit den Instrumentalkonzerten der königlichen Kapelle und brachte hier namentlich die seinem Empfinden naheliegenden Haydn’schen Sinfonien in vorzüglichster Weise zu Gehör.
Als Komponist hat Reissiger wohl fast das ganze Kunstgebiet durchwandert und fast in allen Formen seine schöpferischen Kräfte versucht. Seine Oper machte sehr wenig Glück; von seinen dramatischen Arbeiten hat sich eigentlich nur das Melodrama Yelva (1828) bis jetzt erhalten, einige Ouvertüren abgerechnet, sind seine sehr zahlreichen Bühnenmusiken bereits vergessen. Seine erste Oper, das „Rockenweibchen“, zu Wien geschrieben, passierte wegen des Textes nicht die Zensur, in seinem Nachlaß befindet sich eine Umarbeitung der Ouverture. In München schrieb er Ouverturen, Chöre und Entreacte zum Trauerspiel „Nero“, dann die Oper „Dido“, welche jedoch wegen des Brandes des Hoftheaters in München erst 1824 in Dresden besonders durch Weber’s Anregung zu Aufführung kam. Den „Ahnenschatz“ schrieb er während seines Aufenthals in Rom; er ist jedoch nicht zur Aufführung gelangt wegen zu großer Ähnlichkeit der Dichtung mit der zu Weber’s Freischütz. Abgesehen davon, daß dem Lyriker Reissiger ein hohes dramatisches Vermögen nicht verliehen war, muß man die Wahl seiner Texte auch meist unglücklich nennen. Eben so wenig durchschlagend wirkten „Libella“ (1829), „Die Felsenmühle“ (1831, die Ouverture hat sich erhalten), „Der Erde reichstes Glück“, Festspiel zur Vermählung Friedrich August’s (1833), „Turandot“ (1835), „Adele de Foix“ und „Der Schiffbruch der Medusa (1843 und 46), Musik zum zweiten Teile des Faust zum Goethegeste, „Raub der Helena“ (1855). Außerdem verfaßte er mannigfache Festspiele zu Feierlichkeiten des königlichen Hauses.
Die Kirchenmusik hat er eben so fleißig gepflegt, wenn auch mit nicht viel bleibendem Glück; einen ausgezeichneten Stil und besondere Charakterfestigkeit kann man seinen kirchlichen Tonsätzen eben so wenig zusprechen, wie der ganzen Kompositionsweise Reissiger’s; aber nichtsdestoweniger erkennt man auch in ihnen den Künstler, der mit großer Sicherheit alle technischen Mittel vollständig beherrscht, nach dem Edlern strebt und mit Wärme ohne Prätension das Beste, was er vermag, zu geben sucht. Neben dem Oratorium „David“ schrieb ein eine große Anzahl Messen für die Dresdner Hofkirche, ein Requiem, viele Graduale, Offertorien, Psalmen, Hymnen, einen Psalm von Klopstock für das Elbmusikfest in Halle (1830), eine außerordentliche Menge Motetten für gemischten und Männerchor.
Ebenso beträchtlich ist die Zahl seiner Kammermusiken, von denen namentlich seine Klaviertrios lange Zeit hindurch einer außerordentlichen Verbreitung bei den Liebhabern sich erfreuten, wenngleich man auch diesen seiner Produkte bei sehr manirierter Form überwiegend nur den Wert einer blosen Unterhaltungsmusik zugestehen kann und einen tiefern Gehalt absprechen muß. Von Instrumentalmusiken sind noch eine Jubelouvertüre, eine Ouverture in F, op. 128, eine Festouverture (1850) und eine Sinfonie aus früherer Zeit zu erwähnen. Die größte Verbreitung haben jedoch erst Reissiger’s Lieder gefunden, es sind deren 76 Sammlungen, für eine und mehrere Stimmen erschienen, manche von ihnen sind volkstümlich geworden und werden sich mit Recht lange erhalten und seine anderen Werke überdauern; sein gemütvolles Naturell fand in dem Liede die ihm entsprechende Kunstform.
Neben der allseitigen theoretischen und praktischen musikalischen Bildung besaß Reissiger auch achtenswerte allgemeine Kenntnisse. Sein persönliches Wesen wird allgemein als sehr human, gemütvoll und in entsprechenden Stunden durch liebenswerte Heiterkeit belebt geschildert.

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10. 3. 2014 von Christian