Kreiser, Die letzten Jahre

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auf Seiten 89-91 :

Ein großes Glück bedeutete ihm sein Familienleben. Er besaß drei Söhne und eine Tochter. Die Briefe, die uns erhalten sind, zeugen von einer wahrhaft zärtlichen Liebe zu seiner Familie. Leidet ein Glied an der geringsten Erkrankung, so ist er ängstlich besorgt, Hand in Hand mit seiner Gattin, die in Dresden durch ihren Wohltätigkeitssinn bekannt war. Sie war streng kirchlich erzogen worden und hat vielleicht eine etwas übetriebene Frömmigkeit geübt. Reissiger stellte ihr dann mit seinem gesunden Empfinden öfter in liebvollster Weise das rechte Maß vor Augen. Er schreibt einmal: „Deine Bemerkung über das Theatergehen kann ich gar nicht teilen . . Man muß alles mit Maß um, auch das Beten hat seine Zeit; es darf nie zur Gewohnheit werden, sonst wird es zum sträflichen Geplapper. Man prunke auch nicht damit, sondern befolge, was die Schrift sagt: wenn du betest, gehe in dein Kämmerlein usw. . . .“ An anderer Stelle sagt er: „Der Genuß ist durchaus nicht verboten, aber man soll sein Herz nicht daran hängen, soll die Macht über sich haben, es ohne Schmerz ebensogut entbehren zu können. Wir sind ebenso zur Freude bestimmt, wie die Freude edel ist, und sollen genießen und uns freuen mit den Freudigen. Aber die Hauptsache ist, daß wir auch in der Freude ein dankbares Herz gegen Gott haben und nie vergessen, daß alles von ihm kömmt. Das Menschenleben wäre ja eine traurige Pilgerreise, wenn wir uns ganz der Freude und dem Vergnügen verschlössen. Warum essen und trinken denn die überspannt strengen und frommen Leute? Und warum sind sie solche Feinschmecker? Ist es nicht ebenfalls Sünde, Wein, delikate Süßigkeiten zu genießen? Nein, nein, was Gott gibt, genieße dankbar und mäßig. „Kurz, die ganze Sache bei Euch handelt sich immer nur um das Erlaubte und das Unerlaubte des Genusses, und das ist nicht abzuwägen. Denke, wie weit eine solche strenge Erziehung von Jugend auf führen würde. Laß einmal ein Kind nichts tun als beten, wohin würde es kommen?“
Die Tochter Julie hatte besonders die musikalische Begabung vom Vater geerbt, und er liebte sie deshalb sehr. Sie war später in Dresden eine beliebte Klavierlehrerin.
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Im Frühjahr 1859, nachdem die Vermählungsteierlichkeiten am Hofe (Prinz Georg): vorüber waren, gebrauchte Reissiger die Kur in Karlsbad, um sich von einem 1858 erlittenen Schlaganfall, welcher scheinbar ohne Folgen geblieben war, zu kräftigen. Die Kur griff aber zu sehr an. Dennoch erholte er sich so weit wieder. daß die Ärzte ihm erlaubten, den Dienst in der Hofkirche wieder aufzunehmen (7. August 1859). Aber seine Kraft war gebrochen. Am 5. November 1859 dirigierte er noch die Litanei. Am 7. November wiederholte sich der Schlaganfall, der sein Leben beendete. Ein gütiges Geschick hatte ihn vor langer Krankheit bewahrt.
Die Ehrungen bei seinem Heimgange waren von seiten der Hoftheater und der Stadt sehr große. Erwähnt sei nur, dalß ein von Reissiger komponierter im Nachlaß gefundener Trauergesang an der Ruhestätte auf dem Trinitatisfriedhofe erklang, und seine Freunde Julius Rietz aus Leipzig, Reissigers Nachfolger, und Eduard Grell aus Berlin nach Dresden kamen, ebenso eine Abordnung der Leipziger Pauliner. Ein schroffer Gegensatz zu Reissigers Hingang bildete der festliche Glanz, in welchen Dresden gerade zurzeit anläßlich der Schiller-Jahrhundertfeier getaucht war. Reissiger hatte für die Vorfeier (am 9. November) noch eine Festouvertüre geschrieben.
Da zwei Wochen vorher auch Reissigers Freund Spohr abberufen worden war, so verband man Tonkünstlerverein die musikalische Gedächtnisfeier für beide. Die Hofkapelle gedachte seiner besonders in einem Sinfoniekonzert mit Reissigers Kompositionen und der von Reissiger selbst so geliebten Eroica-Sinfonie von Beethoven am Schluß. Besonders gedachten ferner seiner die Dreyßigsche Singakademie durch Aufführung des Mozartschen Requiems, die Robert Schumannsche Singakademie durch Reissigersche Werke (Requiem, Chor aus „David“ und einige Motetten), der Allgemeine Dresdner Sängerverein durch eine Gedenkrede, verfaßt von Drobisch, gesprochen vom Hofschauspieler Sonntag) und Vortrag Reissigerscher Männerchöre. Auch das Leipziger Konservatorium veranstaltete eine Gedächtnisfeier.

Das dankbare Dresden ehrte Reissiger im Jahre 1875 durch Benennung einer Straße nach ihm. Sein Name ist auch im Wandelraum des ersten Ranges der Hofoper über einem der Bogenfenster zu lesen. Die benachbarten Fensterüberschriften sind Marschner und Verdi. Sein Bildnis hängt im Dresdner Stadtmuseum, wie auch in anderen Museen (Eisenach).
Von den verschiedenen Bildern (Lithographie von Krisch, Wien; von Mayer, Druck von Hanfstengel, Stich von Dittmarsch, Stuttgart) ist die Photographie von Const. Schwendler-Dresden die beste.

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20. 2. 2014 von Christian