Kreiser, 2. Studienreise

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auf Seiten 37-39:

Der nächste Brief, datiert Lyon. den 30. Januar 1825, ist zunächst die Antwort auf ein Schreiben Stobwassers, worin er Reissigers Abreise von Paris gemißbilligt hatte: „Sie sind mit meiner Abreise‘von Paris (die sich übrigens noch ganze vierzehn Tage verspätet hat) nicht zufrieden, lassen Sie sehen, verehrte rHerr, was ich Ihnen entgegensetzen werde. Meine Abreise nach Italien war in mir so fest und in meinen Augen so notwendig, daß ich wirklich nicht anders konnte, als dieses Jahr noch dahin zu reisen. Sie werden sagen: ich hätte können nächstes Jahr dahin gehen, allein das darf ich ja dem Minister noch gar nicht merken lassen, daß ich noch ein Jahr wegbleiben möchte, da er mir noch nicht einmal meine erste Bitte (Zuschuß von 200 Talern) bewilligt hat – und wie denn, wenn mir der Minister längere Unterstützung abschlägt? – dann habe ich in Paris gesessen und Italien nicht gesehen. Sehen Sie, so sitze ich denn seit gestern abend hier, um morgen nach Turin abzureisen …….
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Gibt mir der Minister keine längere Unterstützung, nun so müßte ich eigentlich nach Berlin zurückkehren – gibt mir der Minister aber keinen guten Platz in Berlin oder keine, ganz feste Hoffnung, so fegte ich augenblicklich wieder nach Paris, wo ich in alle Verbindungen wieder eintreten kann, wo ich gern gesehen bin und mir so viel spielend verdienen kann, als ich brauche, um recht honett alle Vergnügungen von Paris zu genießen. – Sie werden über meinen Entschluß sich wundern, allein, warum sollte nicht eine Stadt liebhaben, wo ich in so kurzer Zeit, in einem Aufenthalt von 4 1/2 Monaten als Kompositeur (als Fremder!) so gesucht worden bin, daß ich an 1400 Franks Kompositionen verkauft habe und wo noch für ebensoviel bestellt sind, wenn ich zurückkehren werde? – Eine Stadt, wo die Lektionen von 12 bis 18 Franks bezahlt werden, deren ich mehrere hätte haben können, wenn ich lange hier geblieben wäre! – Habe ich da Unrecht? – daß meine Kompositionen hier gekauft werden, habe ich nächst meinem zweiten Trio, das Sie noch nicht kennen und das ich hier einmal in einer großen Soiree gespielt habe, vorzüglich dem Pixis zu verdanken, der sich als recht braver Mensch und Landsmann an mir gezeigt hat und mich und meine Kompositionen überall empfohlen hat.
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Über Lyons Verhältnisse erzählt Reissiger: „Der Handel erstickt in dieser Stadt den Sinn für die schönen Künste, vorzüglich für die Musik. Ich mußte lachen, als mich jemand fragte, welche Oper mir wohl besser gefiele, die Pariser oder die Lyoner. In den Entreactes des Schauspiels wollen zwei Geigen das Haus erfüllen, und zwar mit malitiöser Musik. die kein Mensch außer Lyon kennt. Zuweilen hört man nur ein einziges Geigelchen! Ich hörte Une Folie von Méhul und eine andere Oper von d’Alayrac und Herold. Die Pantomime ist ganz vortrefflich und das Ballett gut. Was nun überhaupt den Glanz der Musik anbelangt, so ist alles auf Paris beschränkt. In der Provinz herrscht Finsternis. Kirchenmusik gibt’s gar nicht, und wenn einmal ein Fest in der Kirche gefeiert wird, so werden dazu Rossinische Ouvertüren gewählt, welche während der Messe den Geistlichen zum Ruhepunkt dienend, von den Militärbanden ausgeführt werden. ….
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Und von Turin heißt es Weiter: „Im Theater gab man eine schlechte Oper von Niccolini „Tenzone“ – für diesen Karneval komponiert – aber ein sehr schönes Ballett: Jeanne d’Arc. Das Theater ist wunderschön, ebenso groß als das Berliner Opernhaus, nur freundlicher und eleganter. ….
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Von der Schauspielpflege in Turin berichtet Reissiger an den Minister: „Das Schauspiel, welches, wie ich hörte. das erste in Italien sein sollte, hat mir einen niedrigen Begriff von dem Standpunkte der Deklamation gegeben. Findet man es in Paris schon empörend, wenn die Schauspieler durch unmäßiges Schreien und durch Grimassen Effekt hervorzubringen versuchen, wie sehr muß einem hier befremden. wenn man außer den französischen Untugenden noch Unanständigkeiten und Gemeinheiten eingemischt, um dem Publikum zu gefallen. Das zweite Operntheater in Turin (Teatro Sutera) ist nicht der Rede wert.
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Auf Anraten des Barons Zinnica ging ich gerade nach Mailand, da in Genua für die Musiker nichts zu holen ist. In Mailand will ich die letzten Tage des Karneval noch genießen.”
Von Mailand hat Reissiger nun einen sehr eingehenden, fesselnden Bericht über das Konservatorium abgesandt, wozu der alte, ehrwürdige Direktor Censore Minoja ihm in größter Gefälligkeitdie Unterlagen geliefert hatte. Der Dank des Ministers zeugt von hoher Befriedigung und Anerkennung der Dienste Reissigers. Auch hat Reissiger erneuten Zuschuß aus Berlin erhalten.

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13. 2. 2014 von Christian