Kreiser, Dresden

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auf Seiten 52-56:

Kapitel 5.

Reissiger in Dresden. 1826-1859

„Es sollte mich freuen, wenn mein längst im stillen gehegter Wunsch, nach Dresden zu kommen, sich realisiert“, so schreibt Reissiger am 13. Oktober 1826 in dem schon erwähnten Briefe an Hofrat Winkler (Theodor Hell). Man mußte in Dresden an einen Ersatz für Weber in der Leitung der deutschen Oper denken. Den Musikdirektor Marschner wollte man anscheinend nicht als Webers Nachfolger, weshalb dieser Dresden 1826 verließ. Der jungen deutschen Oper versetzte man aber eigentlich einen Schlag, indem man Webers Kapellmeisterposten vorläufig überhaupt unbesetzt lassen und nach Marschners Weggang nur dessen Musikdirektorposten neu besetzen wollte. Bei der Umschau unter den Deutschen kam der weimarische Hofkapellmeister Hummel ernstlich in Frage, ferner der Teplitzer Bürgermeister Wolfram. dessen Oper „Die bezauberte Rose“ soeben in Dresden Erfolg gehabt hatte. Letzterer war ein Günstling sowohl des musikliebenden preußischen, als auch des musikalischen sächsischen Königs, welche beide mit ihm im Bade Teplitz infolge seines Amtes in Berührung gekommen waren. Als Dritten hatte man den bereits 1824 mit der italienischen Oper „Dido“ in Dresden eingeführten Reissiger ins Auge gefaßt, welchem damals zugleich eine Aussicht auf einen Musikdirektorposten gemacht worden war, die aber durch Marschners Anstellung, wie berichtet, wieder zerstört wurde. Die Entscheidung fiel auf den jüngsten der drei Kandidaten, auf Reissiger. ———
… weist Reissiger die Gehaltsangebote aus Dresden entschieden zurück und bedeutet, da er sich verschlechtern würde, lieber in Berlin zu bleiben, weil ihn dort „die schönsten Aussichten fesseln“. „Wenn diese auch durch meinen Abgang von hier (Berlin) für die Zukunft gerade nicht verloren gingen, so ist es doch riskant (nach Dresden zu gehen)“ Unter 800 Talern wollte er nicht kommen, und auch nur, wenn er Aussicht auf Zulage haben könnte, in dem Falle, „daß die Direktion mit ihm ganz zufrieden sei“. Ich bin überzeugt, daß Sie (Th. Hell) das Honorar für einen geplagten Musikdirektor mäßig finden, und ich selbst finde das; indes schmeichelt mich die Hoffnung, daß ich als Klaviervirtuos oder Akkompagnateur bei irgendeinem Gliede des königlichen Hauses noch dazu verdienen kann.“
Um ihn ganz an Dresden zu fesseln, bewilligte man nun sogar 1000 Taler. Letzten Endes wird die Entscheidung vom Könige selbst herbeigeführt worden sein, welcher eine persönliche Neigung zur italienischen Oper hatte und Reissiger schätzte, vor allem wegen dessen italienischer Oper „Dido“. Diese Tatsache zeigt uns sogleich, wie die Sache in Dresden lag. Die junge deutsche Oper, welche gerade vor jetzt hundert Jahren (1817) von Weber gegründet worden war, kämpfte ihre Kinderjahre durch. Erst Schritt für Schritt konnte sie Boden gewinnen. Das Publikum und besonders der Hof begünstigten immer die italienische Oper vor der deutschen.
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Als dann 1842 Wagner nach Dresden kam, war der äußere Kampf bereits durchgefochten. Die Italiener hatten das Feld vollständig geräumt. Diesen Sieg der Deutschen, nach der Vorarbeit Webers, allmählich herbeigeführt zu haben, ist aber das unbestreitbare Verdienst Reissigers. Keiner war durch seine Persönlichkeit mehr dazu geeignet als Reissiger, der mit seiner vermittelnden Tätigkeit sowohl bewußt durch kluge Gestaltung des Spielplanes, als unbewußt durch seinen Charakter die Italiener einkreiste und Hof und Publikum für die deutsche Sache gewann. Das konnte man jetzt bei seiner Verpflichtung zum Musikdirektor noch nicht ahnen. Er hatte ja eine italienische Oper geschrieben, und man konnte in ihm, dem Deutschen, zugleich eine Stütze auch für die Italiener mit sehen. Zur Überbrückung der Gegensätze mußte einMann wie Reissiger jetzt nach Dresden kommen. Webers und Marschners Verdienste um die inneren Werte einer deutschen Oper voll anerkennend, müssen wir doch sagen, daß sie rein äußerlichs die deutsche Oper in Dresden bei den maßgebenden Personen nicht so zu fördern vermochten, wie es nötig war. An Weber konnte bei aller Feinfühligkeit, ein gewisser revolutionärer Zug, wie er allen Neuerern eigen ist, von einem strengen Hofe nicht unbemerkt bleiben, und Marschner war in seinem Wesen manchmal grob und unverträglich, was selbst Weber störte. Im Gegensatz dazu war Morlacchi, der Leiter der italienischen Oper, wie es in den zitierten „Erinnerungeni heißt, „bei Hofe sehr beliebt und wegen seines feinen Tones im geselligen Leben allgemein geschätzt“. Gegen ihn standen die beiden Deutschen bei Hofe etwas zurück. Jetzt kam nun Reissiger, ein weltmännisch gebildeter, liebenswürdiger, in allen Formen gewandter, junger Kapellmeister. Man unterschätze nicht, was für ein junges Unternehmen allein schon das Wesen des Leiters bedeutet, und dazu kamen noch Reissigers musikalische Qualitäten.
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Reissiger, der bisher ein ziemlich ungebundenesKünstlerleben führen durfte, stürzte sich nun mit dem alten, trotz aller Freiheit stets geübten Fleisse in die Fesseln des „so beschwerlichen als instruktiven Amtes“ eines Theatermusikdirektors, wie C. B. v. Miltitz, den wir noch mehr zu erwähnen haben, es einmal nannte.
Zunächst mußte Reissiger seine Kräfte fast ganz den Italienern widmen, denn Morlacchis frühere Kränklichkeit trat wieder auf, und Reissiger leitete für ihn die italienische Oper neben der deutschen. Also erfuhr er gleich am Anfang eine große Arbeitsüberlastung. Aber willig nahm er alles auf sich und gewann sich, durch die Art seiner Amtsführung allgemeine Beliebtheit (auch des italienischen Personals). Sein ihm angeborener, alle in Bann schlagender Humor, dazu seine außerordentlichen Dirigentenfähigkeiten – er war hervorragender Partiturspieler und mit überlegener Geistesgegenwart, die gerade fürs Theater notwendig ist, gerüstet – ebneten ihm schnell die Bahn. Morlacchi war nicht Klavierspieler.
Am Ende des ersten Jahres bekundete Reissiger selbst in einem Schreiben an Lüttichau, daß er nun gern in Dresden bleiben möchteund ihm die lebenslängliche Anstellung erwünscht wäre. Dazu hätte er gern nach einem weiteren Jahr den Titel Königlicher Kapellmeister. Lüttichau schrieb daraufhin an den König, und ich kann nicht unterlassen, den Wortlaut mitzuteilen. Es heißt: „Seit dem Dezember vorigen Jahres ist der Musikdirektor Reissiger in dieser Qualität mit einem Gehalt von 1000 Talern bei dem Kgl. Hoftheater angestellt gewesen. Da jedoch der mit ihm deshalb abgeschlossene Kontrakt nur auf ein Jahr lautet, so würde dieses Verhältnis mit dem Schlusse des Monats November dieses Jahres zu Ende gehen. Reissiger hat mir daher seine Wünsche in dieser Beziehung zu erkennen gegeben und würde sich sehr glücklich schätzen, wenn ihm der Posten eines Musikdirektors nun ad dies vitae als förmliche Dienstanstellung zugesichert, ihm dabei eine Zulage von 2 bis 300 Talern bewilligt und zugleich die Aussicht auf künftige Übertragung der Stelle eines Kapellmeisters eröffnet würde. Was nun Reissigers bisherige Qualifikation betrifft, so ist ihm in dieser Hinsicht das unbedingteste Lob nicht zu versagen. Er hat seit seiner Anstellung einen Eifer und Fleiß gezeigt, welche wahrhaft musterhaft zu nennen sind, indem er nicht bloß den Dienst bei der deuschen Oper ganz allein verwaltet, sondern auch bei Morlacchis eingetretener Kränklichkeit und nachheriger längerer Badekur bei der italienischen Oper nicht nur fleißigst assistiert, sondern solche länger als sechs Monate fast allein dirigiert hat. Seine musikalische Kenntnis hat er durch mehrere seitdem gelieferte Kompositionen von Sonaten, Liedern usw an den Tag gelegt, auch wird eine von ihm in Musik gesetzte Messe Ew. Königl. Majestät allerhöchstes Urteil selbst darüber bestimmen. Hiernächst hat er sich die Achtung und Liebe seiner Untergebenen, namentlich der musikalischen Kapelle, in hohem Grade erworben, und auch ich habe stets Ursache gehabt, mit seinem Benehmen zufrieden zu sein. Bei solchen Vorzügen und Talenten scheint es mir daher allerdings wünschenswert und für den königlichen Dienst zweckmäßig, einen so bewährten und brauchbaren Mann demselben für immer zu gewinnen.”
Weiter unten heißt es dann: „Ew. Königl. Majestät möchte geruhen, den Posten eines Musikdirektors nunmehr auf Lebenszeitmit der Aussicht auf eine künftige Anstellung als Kapellmeister zu übertragen, wobei es ganz in Ew. Königl. Majestät Gnade gestellt bleibt, ob Allerhöchst dem Reissiger bereits mit dem ersten Jahre seiner neuen Anstellung mit einer Zulage zu einem bisherigen, Gehalte von 200 Talern zu beglückten oder diese Allerhöchste Gnade ihm erst für das zweite Jahr angedeihen lassen wollen.“
Der König war sofort bereit. das Gesuch zu genehmigen, auch gleich die Zulage zu gewähren, und zwar behahl er, um seiner persönlichen Anerkennung für Reissiger Ausdruck zu verleihen, aus eigener Entschließung, daß die Zulage auch schon für das Probejahr nachzuzahlen sei. Zugleich wurde Reissiger von nun an zur Erleichterung ein Korrepetitor beigegeben. Wie große Beliebtheit sich Reissiger in dem einen Jahre erworben hatte, bezeugt auch das Bittgesuch an die Intendanz mit der eigenhändigen Unterschrift sämtlicher Mitglieder des Kgl. Orchesters, worin dieselben um Reissigers ständige Anstellung ersuchen: „Mit welcher Einsicht, mit welcher Dexterität und, was wohl höher noch zu stellen sein möchte, mit welchem Geschmack er bisher diesem Amte zu genügen bemüht gewesen sei, welche Anerkennung ihm hiernächst seines eigenen musikalischen Schaffens gebühre, darüber dürfen wir uns, so beifällig auch der Herr Kapellmeister Morlacchi selbst sich darüber ausgesprochen hat, ein Urteil nicht anmaßen, müssen solches vielmehr lediglich höherem Ermessen anheim stellen; aber das dürfen wir mit gnädiger Erlaubnis freimütig erwähnen, daß die Art und Weise, wie er im Verhältnis zu uns seine Funktionen verwaltete, nicht bloß kalte Anerkennung seiner Verdienstlichkeit, nicht bloß unverdrossenes, williges Entgegenkommen, sondern auch einstimmige, wahrhafte Anhänglichkeit und Liebe zur Folge gehabt hat, ohne daß jemals dieser gegenseitige freundschaftliche Verband bei der Strenge und Pünktlichkeit musikalischer Ausführungen störend eingewirkt hätte.“

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13. 2. 2014 von Christian