Nachruf Repertitorium

Repertitorium der pädagogischen Journalisik und Literatur oder:
Allgemein Wichtiges aus den neuesten Zeit- und anderen Schriften für Erziehung und Unterricht
Von Dr. Joh. Bapt. Heindl, (14. Jahrgang) 1860, München J. a. Finsterlin; S. 265-266

Anm: In diesem Nachruf ist im Original die Schreibung Reißiger benutzt.
(Ch. Hildebrand)

Karl Gottlieb Reissiger

Noch am Sonnabend vorher dirigierte K. G. Reissiger die Vespermusik in der Hofkirche zu Dresden, und schon am Montag den 7. November 1859 gegen Mittag war er ruhig in seinem Lehnstuhl zu einem besseren Sein hinübergeschlummert. Obgleich sein Gesundheitszustand vor etwa einem Jahr durch einen Schlaganfall wankend geworden, so kam sein Tod doch völlig unerwartet und erregte die allgemeinste Teilnahme. Seit dem November 1826 hat Reissiger die hervorragendste musikalische Stellung in Dresden eingenommen, und in dieser langjährigen Wirksamkeit bewährte er sich als ein überaus fruchtbarer Komponist und ganz besonders geschickter Dirigent. Die musikalische Welt kennt seine Sinfonien, Quartette, Pianofortestücke, Trios für Pianoforte, Lieder für eine und mehrere Stimmen, und namentlich waren es seine Lieder und Gesänge für Männerchor, die seinen Namen weit verbreiteten und bekannt machten.
Reissiger war am 31. Januar 1798 zu Belzig bei Wittenberg geboren, zeigte schon in früher Jugend bedeutende musikalische Talente, die erst von seinem Vater, dann seit 1811 auf der Thomas-Schule zu Leipzig unter Schicht ihre weitere Ausbildung erhielten. Wissenschaftlich und musikalisch tüchtig vorbereitet, bezog Reissiger 1818 die Universität Leipzig und begann das Studium der Theologie. Durch sein geschmackvollens Klavier- und Orgelspiel wie durch eine herrliche Baritonstimme hatte er sich in Leipzigs musikalischen Kreisen bald bekannt gemacht, und Schicht, der zufällig einige seiner kompositionen sah, erteilte ihm nun auch Unterricht in der Komposition. Von da an faßte er den Entschluß, nur ganz der Kunst zu leben und ging 1821 nach Wien, wie 1822 nach München, um daselbst seine musikalischen Studien fortzusetzen. Schon während dieser Zeit schrieb er seine Oper „Dido“, die unter Karl Maria v. Weber wiederholt in Dresden zur Aufführung kam. Vom Juli 1824 bis zum Oktober 1825 war Reissiger auf Reisen durch Holland, Frankreich und Italien, wo er neben seiner musikalischen Fortbildung auch eine besondere Mission für die preußische Regierung zur Berichterstattung über musikalische Lehranstalten übernahm. Bei seiner Rückkehr nach Berlin erhielt er auch den Auftrag, den Plan zu einem großen Konservatirium für den preußischen Staat zu entwerfen. Vor der Ausführung desselben erhielt er aber gleichzeitig einen Ruf nach dem Haag und nach Dresden, welchen letzteren er annahm. Hier trat er an Marschner’s Stelle und entwickelte nun eine rastlose Tätigkeit mit Direktion der deutschen, und in Morlacchi’s Abwesenheit auch der damal noch bestehenden italienischen Oper. Mit tiefer Einsicht in die Sache und kluger Besonnenheit verband Reissiger eine ungemeine Energie, welche er in seiner Stellung als Kapellmeister zur Veredlung des Kunstgeschmacks, namentlich der durch die italiensche Oper verbreiteten Richtung gegenüber, glücklich verwendete. Von seine Opern „Der Ahnenschatz“, „Libella“, „Die Felsenmühle, „Turandot“ hat sich keine auf dem Repertoire erhalten, obschon in ihnen eine edle Richtung vertreten war, und ihre Aufführungen ihrer Zeit Epoche machten. Mehr als im Dramatischen machte sich Reissiger’s Talent im Kirchenstil geltend. Als Dirigent der berühmten Kirchenmusik in unserer Katholischen Hofkirche hatte er mehrfach Veranlassung zur Komposition von Kirchenmusiken, und seine zehn großen Messen sind in der Tat Meisterwerke ihrer Art. Auch das Oratorium „David“, sein letztes Werk, das er noch im letzten Karfreitagskonzert zur Aufführung brachte, hat allgemeine Anerkennung gefunden, und kam auch bereis außerhalb Dresdens verschiedenemale zur Aufführung.
Bei seinem 25jährigen Amtsjubiläum im Jahre 1851 wurde Reissiger zum ersten Hofkapellmeister ernannt und erhielt das Ritterkreuz des k. Sächsischen Civilverdienstordens wie des sächsisch Ernestinischen Hausordens. In seinem umfänglichen Wirkungskreise stand er durch seine Amtstüchtigkeit wie durch seinen Amtseifer in hohem Ansehen; seines humane, redlichen und liebenswürdigen Charakters halber hatte er sich einer großen Beliebtheit zu erfreuen. Die seiner Leitung unterstellten Kunstinstitute, namentlich die k. Hofkapelle, haben durch Reissiger’s Mitwirkung in der Kunstwelt eine hohe Stellung eingenommen. Nur wenige Tage vor seinem Tode, am 4. November, ging ihm einer seiner ältesten Mitarbeiter, der Chordirektor und Regisseur der königl. Hofbühne, Wilhelm Fischer, dessen Verdienste um Hebung des weltberühmten Dresdener Theaterchors bedeutend sind, zur ewigen Ruhe voran. – Die bedeutenden Vorbereitungen, welche seitens der k. Hofkapelle, des Theaterchors und der verschiedenen musikalischen Vereine Dresdens für das feierliche Begräbnis des verdienten Musikers am Morgen des 10. Novembers getroffen werden, geben Zeugnis von der Achtung und der Liebe, die Reissiger in allen Schichten der Gesellschaft genoss.

09. 3. 2014 von Christian