Kreiser, Die letzten Jahre

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auf Seiten 87-89 :

Eine Freude erlebte Reissiger im Jahre 185l. Er feierte das 25 jährige Amtsjubiläum, wobei er vom Orchester einen silbernen Taktsiock als „Symbol des echt human in Treue und Pflicht gleichbleibenden Taktes“, „dafür, daß er stets das wahre Wohl und die Ehre der Kapelle im Auge gehabt habe“, überreicht bekam. Sämtliche Namen der Mitglieder waren in ihm eingraviert. „Er habe,“ heißt es in dem Begleitschreiben, „die Würde (der Kapelle) sowohl im allgemeinen vertreten, als auch jedem Mitgliede im einzelnen vielfache Beweise seiner Freundschaft und tätigen Fürsorge gegeben.“ „Die Teilnahme der Kapelle und der Stadt waren mir wahrhaft rührend“, schreibt er an Raff. Der König aber ernannte ihn noch förmlich zum „ersten Hofkapellmeister“, nachdem er als solcher bereits immer fungiert hatte. Es ist bezeichnend für die Übergangszeit, in welcher Reissiger und Weber lebten. Vor Weber hießen die ersten italienischen Kapellmeister Oberkapellmeister, Weber lieb „Hofkapellmeister“, Reissiger wurde nach fünfundzwanzig Jahren „erster Hoikapellmeister“, während sein Nachfolger Rietz 1874 zum Generalmusikdirektor ernannt wurde.
Einen Lichtblick für Reissiger bedeutete ferner 1854 die Anwesenheit des großen französischen Programmkornponisten Berlioz, dem alles aufs beste vorzubereiten Reissiger Ehrensache war. In fünf Tagen stellte das Kgl. Orchester in den besonders schweren, koloristischen Werken (Faust, Romeo, Flucht aus Ägypten) in drei Konzerten, zu denen in den nächsten fünf Tagen noch eins kann, eine Prachtleistung auf. Das Dresdner Orchester war das geeignetste, um die Werke, welche das Tor zu den Orchester-Klangwundern der Neuzeit bilden, würdig erstehen zu lassen.
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Berlioz‘ Urteil über das Orchester ist allerdings als höchst maßgebend anzusehen, denn Berlioz war als Verfasser einer der ersten Instrumentationslehren eine erste Autorität. Reissiger, der, wie alle Menschen, durch eine lobende Anerkennung glücklich werden konnte, wird unvergeßliche Eindrücke gewonnen haben. Aus einem der Briefe Bülows an Liszt (6. Mai 1854) erfahren wir nun, daß Reissiger mit Pensionierungsgedanken umging, weshalb man gleich Berlioz als Nachfolger ins Auge faßte. jedoch der Plan zerschlug sich wieder und Reissiger blieb noch fünf jahre im Amte.
Reissigers Kräfte nahmen durch einen Raubbau, infolge früherer Überanstrengungen hervorgerufen‚ immer mehr ab. so daß er sich in den letzten Jaren auf die Leitung der Kirchenmusik und älterer Opern beschränken mußte. Trotzdem hat er an der musikalischen Förderung Dresdens und seiner Oper noch regen Änteil genommenn. Die moderne Oper eines Meyerbeer‚ welcher um die Jahrhundertmitte im Zenit seines Ruhmes stand, erlebte mit dem „Propheten“ von 1850 (erste Aufführung) bis 1858 fünfundsiebzig Aufführungen. Der noch unbekannte Verdi wurde von Reissiger 1849 mit „Ernani“ und „Nabucco“ (1851) eingeführt. Den von reissiger 1828 in Dresden erstaufgeführten „Oberon“ Webers konnte Reissiger nach mehreren Neueinstudierungen weit über hundermal dirigieren (12. September 1859 hundertfünfundzwanzigste Aufführung). Webers „Silvana“ führte er 1855 überhaupt zunl ersten Male in Dresden auf, ebenso Mozarts „Cosi fan tutte“ (in deutscher Sprache). Die neuesten Werke Lortzings, Nicolais (Lustige Weiber), Flotos, Aubers, Adams u. a. erschienen in Dresden. Dazu kamen im Jahre noch vier bis fünf Neueinstudierungen guter älterer Werke.
Ferner wurde Reissiger 1856 oberster künstlerischer Leiter des Dresdner Konservatoriums und richtete 1858 die ständigen königlichen Sinfoniekonzerte ein. Am 1854 gegründeten, heute noch bestehenden Dresdner Tonkünstlerverein hatte er reges Interesse, so daß er dessen erstes Ehrenmitglied wurde.
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Aus den letzten Jahren sind noch einige schöne Erlebnisse mitzuteilen. Die Anhänglichkeit an seine alte Leipziger Thomasschule bewies er 1854 durch Teilnahme an einer Versammlung alter Schüler. In einem Briefe, vor dem Feste geschrieben, lesen wir: „Endlich sind doch ein paar alte Hähne aufgetreten und haben eine Versammlung der alten Pennäler angeregt. Hoffentlich kommt sie zustande.“
Eine andere Freude war ihm auch der Erfolg seines Oratoriums „David”‚ welches außer in Dresden u. a. auch von der Berliner Singakademie (unter seiner „feurigen“ Leitung) und in Erfurt aufgeführt wurde. Eine Militärkapelle brachte ihm bei dem Besuche in Erfurt eine Morgenmusik mit einem Programm Reissigerscher Kompositionen dar, worüber er natürlich sehr erfreut war. Über die Aufführung des „David“ selbst schreibt er allerdings, woraus sein berechtigter Stolz auf Dresden hervorleuchtct; „Natürlich mußte ich, als verwöhntes Dresdner Kind, ein Auge zudrückcn, mein Dresdner Orchesterglanz,. die Kraft, Präzision, Vortrag usw. usw.“

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20. 2. 2014 von Christian