Kreiser, 2. Studienreise

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Kapitel 4.

Zweite Studienreise. Belgien, Frankreich, Italien. 1824-1826

Reissiger hatte dem Ministerium angegeben, daß er nach einem halben Jahre, also im September 1824, gedenke, die mehrjährige Reise anzutreten. Aber bereits im Mai sehen wir ihn in Leipzig, wo er die erste Station macht.—– Auch wollte er sich in Leipzig von seinen Freunden verabschieden und veranstaltete daher ein öffentliches Konzert. Die Kritik schreibt: „Am l4. Mai gab uns Herr C. G. Reissiger im Saale des Gewandhauses ein in mehrfacher. Hinsicht angenehmes, auch mehr als gewöhnlich besuchtes Konzert. Symphonie A 7 von Beethoven, Duett aus Zelmire usw. alles vortrefflich. Herr Reissiger ließ uns Hummels A-Moll-Konzert hören. An Fertigkeit und seelenvollem Vortrag hat er sehr bedeutend gewonnen, so daß das Perlende auch in schweren Aufgaben, was notwendig zur Meisterschaft gehört, sich gewiß bald dem schon Errungenen beigesellen wird Seine Ouvertüre zu Dido, welche sehr gut und voll instrumentiert ist, rund und melodiös ist, nur daß sie zu sehr spontinisiert. Arie mit Chorr aus derselben Oper voll Melodie, nach Art Rossini. Das Trio für Pianoforte, Violine, Violoncello wurde ebenso sicher vorgetragen. als es besetzt ist.“
Reissiger berichtet dann Weiter: „Mein Weg führte mich über Nürnberg, wo ich mit Herrn Hofrat G. Döring wegen eines Opernbuches für mich sprechen mußte, nach Frankfurt a. M., da ich gerade zur Zeit der Messe viel Gelegenheit zu hören hatte, indem einen Tag um den anderen große Oper war. Ich habe mich über den guten Geschmack, der hier herrscht, sehr gefreut. Die hier erst kürzlich errichtete Singakademie, wenn auch bei weitem nicht so ausgebreitet und ausgebildet als die Zeltersche, wird von Herrn Schelble geleitet, und beweist, ebenso wie in Berlin, welchen großen Einfluß das Hören und Treiben guter Kirchenmusik und Studieren gediegener Werke auf die Bildung des Geschmacks habe. – Schlechter wird die Musik in den Kirchen getrieben; der Chorgesang ist schlecht; die Organisten wissen nichts vom Kirchenstil; statt daß sie gebunden spielen, spielen sie unbändig und klaviermäßig, und ich habe wirklich eine nur merkliche, stufenweise Abnahme in dem einfachen religiösen Stil gefunden, je näher und je weiter ich innerhalb Frankreich kam.“
Ein Brief an Seinen „liebsten Herrn Stobwasser“ vom 25. September 1824 aus Paris ergänzt in humoristisch-freierer Art das Reisebild: „Seit drei Tagen bin ich hier, und da sich mir eine so günstige Gelegenheit, Ihnen zu schreiben, durch einen Berliner, der hier im Hause Mendelssohns war, darbietet, so ergreife ich dieselbe, um alle recht herzlich zu begrüßen und meine glückliche Ankunft in den Elysäischen Gefilden zu melden. —- Von Aachen nach Lüttich ist der Weg sehr schön, Berge und Täler wechseln in immer neuen Farben, jedoch wird der Weg nach Brüssel zu höchst einförmig und flach, ebenso nach Paris. Ach, du gottlose Stadt, was kostest du für Geld, wie verstehen es deine Einwohner, einem das Geld aus den Taschen zu locken! Aber dafür hört, sieht und hat man auch etwas. Ich bin noch, obgleich ich schon sehr viel gesehen habe, zu sehr Neuling hier, um einen Vergleich aufzustellen, aber Wien ist nur ein kleinstädtisches Nest gegen Paris. — man braucht zu viel Geld, für ein sehr einfaches Stübchen muß ich 45 Francs pro Monat zahlen. — Nächstens mehr.“
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Im Bericht an den Minister erzählt Reissiger von den Meistern, die er persönlich kennen lernte „Die Bekanntschaft mit den großen Meistern, die die Hauptstadt zu ihrem Sitze ersehen haben, teils weil sie im übrigen großen Frankreich keine Gelegenheit haben, sich auszuzeichnen oder dem Staate zu nützen, die Menge der jungen Künstler, die sich alle nach der Hauptstadt wenden,.um von diesen Meistern zu profitieren; das Konservatorium, alles ist interessant, und ein Fremder findet eine Masse von Talenten in einer Stadt, die er in ganz Deutschland nicht vereinigen kann. Die großen Meister Cherubini, Kreutzer, Paër, Lesueur, Boieldieu usw. können aber durchaus nichts beitragen, um die leichte französische Nation vielseitig oder doch wenigstens gebildet in ihrem Geschmack zu machen. Für gediegene Musik, für Werke, die gut gearbeitet, gut durchdacht sind, ist der Franzose nicht geeignet; er hat keinen Sinn für Kirchenmusik, die denn auch in Paris ganz schläft. Nur in der Hofkapelle hört man unter Cherubinis Leitung zumeist eine gute Musik. Der Kirchengesang und die Organisten sind schlecht, letztere werden sehr schlecht bezahlt. und man ist schon zufrieden, wenn man zu solchen Kapellen Subjekte findet, die notdürftig einen Choral spielen können. …..
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In Briefen heißt es dann über sein Leben in Paris weiter: „DieZeit vergeht hier schrecklich schnell. kaum habe ich die Sehenswürdigkeiten, die ich notwendig vor Ende des Herbstes sehen mußte, alle in Augenschein genommen. geschweige denn alles gehört. was zu hören ist. ‘Ich habe seit drei Wochen müssen die Nächte zu Hilfe nehmen, um mir etwas zu verdienen, wie könnte ich sonst hier bestehen – ich mache ja das ganze preußische Ministerium arm.’ Denken Sie, daß man den Tag über unter 6 Francs (inkl. Logis) nicht leben kann, denken Sie, daß die Theaterpreise (Parterre 3-4 und 5 Francs) sind, und ich fast täglich ins Theater gehe, so haben Sie einen Begriff. Ich war so glücklich, an einen hiesigen Verleger mein neues Trio (das zweite) zu verkaufen und ein Heft Variations brilliantes für 600 Francs, und dieses kommt mir dabei wohl zustatten, ob ich mich gleich wunderte, daß der Verleger dieses nahm, da ich hier noch nicht bekannt bin. —-

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13. 2. 2014 von Christian