Kreiser, Dresden

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auf Seiten 56-59:

Reissiger war nun ganz für Dresden gewonnen. War ihm auch endlich ein Korrepetitor beigegeben, so überlege man sich aber, was es an Arbeitslast bedeutete, ein Institut wie die Dresdner Hofoper mit ihren zwei Teilen, dem deutschen und dem italienischen Personale, einem einzigen Musikdirektor und einem Korrepetitor (ein Jahr lang sogar nur dem Musikdirektor allein) anvertraut zu haben, während früher zwei oder drei Kapellmeister und ein Musikdirektor sich in die Arbeit teilten. Im Winter kamen auch noch Konzertdirektionen dazu, wovon später noch geredet werden soll. Morlacchi genoß jetzt Ferien gleich bis zu dreiviertel Jahr. Er war überzeugt, daß in Reissigers Händen alles wohl verwahrt war. Unter Hintansetzung seiner eigenen Gesundheit erfüllte nun Reissiger seine Pflichten peinlich. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als nutzte man seine fabelhafte Arbeitskraft und seinen Fleiß aus, denn das Interregnum zwischen Webers Verlust und der offiziellen Ernennung des Nachfolgers dauerte doch nun schon etwas sehr lange.
Die bisherigen Leistungen der italienischen Oper waren Reissiger ein Ansporn, Webers deutsche Oper womöglich noch über dieselben zu erheben und die Abhängigkeit der deutschen von der italienischen zu vermindern. Sein unvollständiges deutsches Ensemble suchte er zu ergänzen und Publikum und Hof allmählich mit deutschen Werkken vertraut zu machen. Nach reinigen Singspielen und Boieldieus neuer Oper „Die weiße Dame” und Aubers „Maurer und Schlosser”. (ebenfalls neu) kam vor allem Webers „Oberon“ zum ersten Male in Dresden in geradezu glänzenden Aufführungen„heraus.
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Hier sei nun auch noch Reissigers als Konzertdirigent gedacht. Wir bekommen dabei von ihm ein anderes Bild, als wie es Richard Wagner gegeben hat. Gelegentlich eines „Musikfestes im alten Opernhause in Dresden 1828“ dirigierte Reissiger Beethovens C-Moll-Sinfonie und Händels Judas Makkabäus. Dazu hatte er Verstärkungen im Orchester nötig, weshalb er aber mit akustischen Störungen rechnen mußte. Diese glich er, wie berichtet wird, durch eine geschickte Aufstellung der Mitwirkenden vollkommen aus. Dann heißt es: „Das Ganze durchdrang ein Feuer, das aus des Direktors Allgegenwart mit Blicken und Winken mit beiden Händen stets neue Nahrung sog“. Reissigers jugendliches Feuer ging dann sogar so weit, daß nach des Kritikers Meinung der letzte Satz der Sinfonie zu schnell geriet, daneben sei aber der wahre Charakter des ersten Satzes, das sehnsüchtige Regen und Streben‚ noch niemals so leuchtend und klar vor Aungen getreten als unter Reissigers Direktion. Vom Oratorium wird folgendes Interessante berichtet: „jeden Zuhörer muß es erfreuen, im Direktor als der Seele des Ganzen, den wärmsten und sogar aufopfernden Eifer für die Kunst flammen zu selten. Herrn Reissigers Direktion ruft das Andenken an die bessere alte Zeit zurück, wo ein Direktor vor allen Dingen durchaus nicht bequem sein durfte, sondern nur der prior inter pares war, und wo man die Direktoren nicht nach ihren pompösen Opern und ihrem europäischen Ruf (vergl. Spontini, Rossini, K. K), sondern nach ihren Kapellkenntnissen wählte. Wäre auch Herrn Reissigers Taktieren manchmal durch allzu große Lebhaftigkeit auffallend, so ist mindestens das Übermaß im Eifer besser, als eine phlegmatische Ruhe, die sich vom Orchester beherrschen läßt. Sein- Kraftaufwand an jenem Abende war in der Tat zu bewundern, indem er nicht nur die meisten Chöre selbst mitsang, sondern auch, wie ich höre, das Ganze nach dem bloßen Klavierauszuge leitete, folglich mehr im Gedächtnis haben mußte, als mancher andere in der Partitur wirklich nachzulesen gewohnt ist.”
Reissigers Geistesgegenwart wurde dann in derselben Aufführung noch ganz besonders in Anspruch genommen durch ein Versehen des Tenors. Dieser hatte die Noten plötzlich verlegt, aus denen er ein Rezitativ zu singen hatte, und versagte im gegebenen Augenblicke. Da sang Reissiger schnell entschlossen das Rezitativ selbst. was er bei seiner guten Stimme sehr wohl wagen konnte.
Wie stimmt nun dies alles zu dem immer behaupteten Phlegma Reissigers? Gerade im Gegenteil stimmen alle Berichte über Reissiger darin überein, daß er ein lebensprühender Dirigent war.
Künstlerisch konnte Reissiger auf seine bisherige Arbeit in Dresden stolz sein, wenn sich nur nicht immer materielle Sorgen eingestellt hätten. Trotz Gehaltserhöhungen waren 1200 Taler für seine jetzige Stellung immerhin eine geringe Bezahlung. da er durch seine Arbeitslast auch die ihm anfangs zugesicherte freie Zeit zum Nebenverdienst nicht erhielt. Infolge seiner Stellung als Hofbeamter hatte er noch besondere Abgaben (Armenhaus und Prämiensteuer) zu leisten. Von denselben hatte er vor der Anstellung nichts erfahren. Glücklicherweise fand er bei Lüttichau Verständnis, der beim Könige wegen Erlaß der Sondersteuern vermittelte. Er schrieb, „daß Reissiger kein eigenes Vermögen besitze, hilfsbedürftige Eltern und Geschwister zu unterstützen und die Kosten einer neuen Einrichtung zu bestreiten habe, folglich durch den mindesten Verlust in die sorgenvollste Lage versetzt werden würde“, „daß Reissiger, unbekannt mit den hiesigen Verhältnissen, dem Rufe zu seiner gegenwärtigen, ehrenvollen Stellung gefolgt sei, im Auslande Verhältnisse verlassen habe, die ihm eine sorgenfreie Existenz gewährleistet“ usw. usw. Der Intendant schließt mit den Worten, daß er es „bei den ausgezeichneten, unermüdeten und so beschwerlichen Dienstleistungen dieses so fleißigen und talentvollen Mannes” für nötig hält, für ihn beim Könige einzutreten.
Das war in: Januar 1828. Schon im darauffolgenden April machte Lüttichau eine Eingabe, die die dringend werdende Nachfolge Webers nun endlich regeln soll. Er zählt Reissigers Verdienste erneut auf (gesamte. Leitung der deutschen und italienischen Oper, der Kirchenmusik im Verein mit Rastrelli, Anordnung aller Hofkonzerte und sonstigen musikalischen Unterhaltungen). Er schreibt dann: „Wenn nun Reissiger auf diese Art seine Fähigkeit, jenes so ausgezeichnete Institut musikalisch zu leiten, auf das Deutlichste und während eines längeren durch Einstudierung von Oberon, Elisabeth und anderen schwierigen Opern vielfach beschäftigenden Zeitraums bewährt habe, so hat er auch ebenso eine Geschicklichkeit, sein gründliches Studium durch mehrere eigene Tonschöpfungen bewiesen, welche teils von Ew. Königl. Majestät Höchstselbst mit Beifall beehrt, teils im allgemeinen von Kunstfreunden mit ausgezeichnetem Beifall aufgenommen worden sind. Dahin gehört besonders die von Reissiger komponierte und bereits in Ew. Königl. Majestät katholischen Hofkirche aufgeführte Messe, eine bei Allerhöchster Thronbesteigung (seit 1827 war König Anton Friedrich August dem Ersten gefolgt) komponierte Sinfonie, mehrere Ouvertüren zu neuen Opern, welche noch bearbeitet, und verschiedene durch Lieblichkeit und Korrektheit sich auszeichnende Gesangsstücke.
Mit allen diesen vorteilhaften Eigenschaften ausgerüstet und noch in der Blüte seiner Jahre und Kraft seiend, scheint Reissiger sich mir daher ganz zu jener Stelle zu eignen, welche seit dem Ableben des Kapellmeisters C. M. v. Weber noch nicht wieder besetzt worden ist und Reissiger seit fast 1 1/2 Jahren den Dienstgeschäften derselben nach bereits mit Beifall verwaltet hat.“
Am 3. Mai 1828 erfolgt. durch allerhöchste Entscheidung die Ernennung zum „Kgl. Kapellmeister“ „zum Zeichen unserer Zufriedenheit mit seiner bisherigen Dienstellung“. wie der König schrieb, und zwar mit 1.500 Talern Gehalt vom Anfang des „heurigen Jahres“ ab. In der Nachzahlung für das verflossene Vierteljahr sollte auch eine Auszeichnung liegen, denn das hatte Lüttichau nicht mit beantragt. Am S. Mai erhielt Reissiger dann folgende, für die frühere Zeit äußerst charakteristische Dienstanweisung, die wir deshalb mit abdrucken.

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13. 2. 2014 von Christian