Bald kam das Jahr 1818, wo er das Gymnasium verlassen konnte. Wie er sich in den Schuldisziplinen bewährt hatte, bezeugt das vorliegende, von Rost unterzeichnete Abgangszeugnis ….
Dem Willen des Vaters folgend, schickte er sich zunächst an, die theologischen Vorlesungen der Universität zu belegen. Da er sich seinen Unterhalt aber hauptsächlich durch die Musik verdienen mußte, kam er in immer engere Beziehungen zur Kunst. Er gab Klavier- und Orgelunterricht, sang und spielte in Leipziger Familien. Unter seinen damaligen Schülerinnen befand sich u. a. Henriette Kuntze, die später als Frau Voigt in ihrem Musiksalon in Leipzig alle bekannten Größen des musikalischen Himmels begrüßte und besonders durch Robert Schumann bekannt geworden ist. Ihr widmete Reissiger später sein siebentes Trio. Er wurde ferner Solosänger im Gewandhauskonzert und spielte auch abwechselnd Violine und Bratsche im Orchester mit. Das Violinspiel hatte er ja, wie wir schon wissen, im Elternhause zu erlernen begonnen und dann in der späteren Schulzeit weiter gepflegt.
Schicht erhielt Kenntnis von zwei neuen Motetten Reissigers. Die Beherrschung des Satzes (stellenweiste achtstimmig und fugiert) sowie der wirksame Aufbau bestimmten ihn, dieselben an Breitkopf & Härtel zu empfehlen und sie auch in der Thomaskirche aufzuführen. Der Verlag druckte sie 1819 als Op. 2, und Reissiger widmete sie seinem verehrten Lehrer Schicht. Dieser sollte nun fernerhin sein Wohltäter werden. Er redete ihm ernstlich zu, sich der Musik ganz zu widmen und wollte ihm selbst weiteren Kompositionsunterricht unentgeltlich erteilen. …
Schicht hatte außerdem einen großen Bekanntenkreis, worunter sehr wohlhabende Bürger waren, bei denen er sich für Reissiger verwenden wollte. Ferner besaß Schicht eine außerordentlich umfangreiche Bibliothek, in der alle nur erdenklichen Werke zur Musiktheorie vorhanden waren und die er seinem Lieblingsschüler wohl sehr gern zur Verfügung stellte. Reissiger war nicht schwer zu gewinnen, denn die Theologie hatte er ohnehin nicht mit Leib und Seele betrieben und – wen die Musik einmal gepackt hat, den lässt sie nicht so leicht wieder aus ihren Fesseln. Dazu erhielt er noch eine aufmunternde Kritik in der A. M. Z. für einige neue geistliche Kompositionen, die der Thomanerchor gesungen hatte, und das Gewandhausorchester hatte sogar eine Ouvertüre von ihm aufgeführt, ja, Matthäi überliess ihm schon zeitweilig die Orchesterführung im „Großen Konzert“. Er konnte also unter den günstigsten Aussichten die Theologie mit der Musik vertauschen.