Im bürgelichen Leben war Reissiger ein offener, redlicher, sanfter Mensch von echt deutschem Charakter. Bei näherer Bekanntschaft steigerten sich dies Eigenschaften zur liebenswürdigsten Geselligkeit, welche bald einen Kreis kunstverwandter Freunde um ihn sammelte. Seine Tüchtigkeit als Dirigent, seine staunenswerte Fertigkeit im Partiturlesen, sein rascher und sicherer Überblick, wie die Bedachtsamkeit und Festigkeit im Akkompagnieren sind anerkannt und erwarben ihm, gepaart mit liebenswürdiger Humanität, die Liebe der seiner Leitung anvertrauten Kapelle. In dieser Stellung blieben ihm allerdings auch bittere Erfahrungen nicht erspart. Verpflichtet, über eine Masse eingesendeter Kompositionen sein Urteil abzugeben, zog ihm die strenge Unparteilichkeit desselben auch viele Feinde zu. Auf seinen offenen Charakter wirkten diese Verhältnisse, in welche fast jeder bedeutende Mann und besonders Komponisten und Künstler von Ruf kommen, dennoch empfindlich und nachteilig ein und lähmten vielfach den Aufschwung seines poetischen Geistes. Indessen blühten ihm neben der Genugtuung allseitiger, öffentlicher Anerkennung auch die Freuden eines glücklichen Familienlebens. Seine Gattin führte er aus der Familie des kunstsinnigen Stobwasser, in welcher der strebsame Jüngling in Berlin so liebevolle Aufnahme fand, im Jahre 1828 heim. Aus der Ehe entsprossen drei Söhne und eine Tochter, welche in voller Blüte der Jugend den hingeschiedenen treuen Vater beweinen. Wiewohl im letzten Winter schon kränkelnd und zu einer notwendigen Beschränkung seiner Berufspflichten gezwungen, erholte er sich jedoch im Laufe des Sommers so zusehend, daß man an die völlige Wiederherstellung seiner Kräfte die besten Hoffnungen knüpfte. Noch am Sonnabend vor seinem plötzlichen Hinscheiden leitete er in der katholischen Hofkirche die Litanei. Da raffte ihn der Tod am Montag, den 7. November, in der Mittagszeit, nach kurzem Unwohlsein in der vollen Kraft seiner Jahre aus diesem Leben hinweg! Die Trauerkunde erweckte die schmerzlichste Teilnahme in allen Kreisen. Die Mitglieder der Königl. Kapelle widmeten dem Hingeschiedenen einen rührenden Nachruf im Dresdener Journal. Die Bestattung seiner irdischen Hülle fand in den Frühstunden des 10 November statt. Vom Trauerhause auf der Ostra-Allee setzte sich der feierliche Zug in der achten Morgenstunde unter dem Geläute der Glocken in Bewegung. Ein Musikchor, Beethoven’s Trauermarsch aus der Eroica spielend, eröffnete denselben. Ihm folgten die Zöglinge des Konservatoriums und die Kapellknaben der katholischen Hofkirche. Daran schlossen sich die von den Mitgliedern der Königl. Kapelle und des Hoftheaters auf Kissen getragenen Lorbeerkränze und zahlreichen Liebesgaben von Mitgliedern der Oper und des Schauspiels, des Tonkünstler-Vereins, der Dreyssig’schen und der Dresdener Singakademie, der allgemeinen Sängervereine, der Männer-Gesangsvereine „Orpheus“ und „Liedertafel“, des Universitäts-Sängerchors zu St. Paul in Leipzig, welcher letztere durch eine Deputation vertreten waren. Vor dem Trauerzuge wurden zwei Kissen getragen, auf dem eine die Orden des Verewigten, unter ihnen den Königl. Sächsischen Verdienstorden, welcher ihm bei Gelegenheit der 300jährigen Jubelfeier der Königl. Kapelle verliehen wurde, auf dem anderen ein frischer Lorbeerkranz und der silberne Taktierstock, welchen die Mitglieder ihrem Meister an seinem 25jährigen Dienstjubiläum verehrt hatten. Neben dem Trauerwagen gingen 12 Mitglieder der Kapelle und Oper mit Palmzweigen. Hinter demselben folgten die Söhne und Verwandten des Verewigten; hierauf sämtliche Mitglieder der Kapelle, unter ihnen die noch vor dem Dahingeschiedenen angestellten Senioren F. Kummer, Lauterbach, Schubert und Tietz, Efeukränze mit Trauerbändern tragend, an ihrer Seite die Herren Superior Pfarrer Bernert, Hofrat Dr. Pabst, Kapellmeister Krebs, Konzertmeister Schubert, Musikdirektor Grell aus Berlin und Kapellmeister Ries aus Leipzig, welcher kurz vorher an dem Sarge seines Freundes einen frischen Lorbeerkranz niedergelegt hatte. Nach der Königl. Kapelle folgten die Mitglieder des Hoftheaters und des Chors, wie die übrigen Freunde und Verehrer des Verstorbenen. Die Feierlichkeit auf dem Kirchhofe war auf den Wunsch der tiefgebeugten Familie kurz und einfach. Hofprediger Dr. Langbein hielt eine erhebende, der wärmsten Teilname entsprungene Grabrede. In ihr fanden Reissiger’s große Verdienste um die Kunst eine ergreifende Würdigung! Als der reich mit Kränzen geschmückte Sarg der Erde übergeben wurde, tönte ein Gesang, welchen der Verewigte schon früher in düsterer Vorahnung, wie es scheint, zu diesem Zwecke komponiert hatte. Ein Choral eröffnete und schloß die ernste, schmerzliche Feier.
Mit Reissiger ist ein Mann aus dem Leben geschieden, welcher als Mensch und Künstler gleich hochgeachtet dastand. Seine reichen Kräfte waren dem Edelsten in der Kunst gewidmet und nie wich er während seiner ein Menschalter umfassenden Tätigkeit von diesem Pfade ab. Die seiner Pflege anvertraute Kunst hat er seinen Nachfolgern in unverkürzter Reinheit hinterlassen. Mögen sie mit gleicher Begeisterung, mit gleicher Kraft bestrebt sein, diese ehrenvolle Hinterlassenschaft mit so hingebender Liebe, wie sie den Verewigten beseelte, fortzuführen.
Hugo Gottschalk