Kreiser, 2. Studienreise

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auf Seiten 49-52:

In Berlin angekommen. arbeitete Reissiger sogleich den umfassenden Plan für eine schon lange beabsichtigte Neuorganisation der Berliner Musikhochschule aus. Das Ministerium hatte nun aber gegen Reissigers Idee „das
bestehende Institut für künftige Musiklehrer; Kantoren und Organisten mit einer Musikschule für das Kgl. Theater zu verbinden“, Bedenken und forderte Reissiger auf, einen neuen Plan zu entwerfen, nach welchem „das allhier vorhandene zunächst für geistliche Musik bestimmte Institut zu einer vollständigen Lehranstalt für Komponisten jeder Gattung erweitert werden könnte. Es würde hier besonders noch einer höheren Klasse bedürfen, in welcher die geübteren Schüler Anleitung zum Studium älterer und neuerer klassischer Werke und zu eigenen Arbeiten jeder Art des Stils erhielten. Durch ein solches Institut könnten für die vorzüglichsten Städte des preußischen Staats Männer gebildet werden. die, wenn auch nicht alle durch eigene musterhafte Produkte, doch gewiß durch nicht bloß eine fehlerfreie, sondern auch völlig befriedigende und geistvolle Direktion musikalischer Aufführungen sich auszeichnen würden.“
In demselbenSchreiben kommt nun endlich auch eine Aussicht auf eine Anstellung zur Sprache. Man wollte sich Reissigers gewonnene pädagogische Erfahrungen nicht entgehen lassen. „Inmittels wird Ihnen eine Gelegenheit zu einer Ihren Kenntnissen und Talenten angemessenen Beschäftigung bei der allhier bestehenden musikalischen Lehranstalt gegen eine jährliche Remuneration von vierhundert Talern hierdurch angeboten und der Professor Zelter hat dieserhalb unter heutigem Dato Auftrag erhalten, sich unter Zuziehung der bereits angestellten Lehrer des Instituts mit Ihnen hierüber zu beraten.“
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Es war aber auch höchste Zeit für Reissiger, eine amtliche Stellung zu erhalten, denn einmal war ihm seine abhängige Lage unerträglich (wobei er seinen nunmehr emeritierten Vater mit zu unterstützen hatte), und andererseits war zu bedenken, daß Reissiger durch seine vorteilhaften Beziehungen und seine Leistungen im Auslande sehr bald glänzende auswärtigeRufe zu erwarten hatte, die er bei seinen geringen Geldmitteln schwerlich ausschlagen würde. Stobwasser hatte daher, um schnelle Entscheidung des Ministeriums herbeizuführen, sich erneut für ihn verwendet. Er schrieb: „In diesem jungen Manne ehre ich eins der bedeutendsten musikalischen Talente Deutschlands, verbunden mit tüchtiger, wissenschaftlicher Ausbildung bei großem moralischen Wert und nähre die begründete Hoffnung, daß den Musikbildungsanstalten des preußischen Staats durch seine Anstellung ein neuer Schwung verliehen werde, dem Staat aber ein in seinem Fach höchst bedeutender Mann erhalten bleiben würde.”
Reissiger wirkte nun am „Musikalischen Lehrinstitut” “ (das spätere Kgl. Institut für Kirchenmusik) neben Zelter (seit 1819 Gründer und Direktor), Bernh. Klein, den er bereits in Rom kennen gelernt. hatte, und dem berühmten Orgelspieler A. W. Bach (1796-1869), welcher 1832 nach Zelter Direktor wurde. Freilich als endgültige Lösung seiner Existenzfrage konnte Reissiger diesen Wirkungskreis noch nicht ansehen, denn dazu war sein Amt zu wenig ergiebig. Er hoffte aber, sobald sein Konservatoriumsplan verwirklicht werden würde, besser zu fahren. Den neuen umgearbeiteten Plan hatte er auch bald dem Ministerium eingereicht, aber wegen Mangel an Geld konnte die Regierung die Idee jetzt überhaupt nicht weiter verfolgen, und so unterblieb die Verwirklichung des Reissigerschen Konservatoriums gänzlich. Der Plan ist allerdings im wesentlichen für den späteren Ausbau der Berliner musikalischen Hochschule grundlegend geblieben.
Während die Angelegenheit noch schwebte, erhielt Reissiger 1826 im Juli einen Ruf nach dem Haag, um dort ein Konservatorium zu gründen und zu leiten. In einem Berliner Brief vom.13. Oktober 1826, in welchem er schon wegen Dresden verhandelt, schreibt Reissiger: „Eine mir angetragene Stelle als Direktor des Konservatoriums im Haag mit 900 Talern habe ich ausgeschlagen, weil man hier ebenfalls mit Einrichtung eines ähnlichen Instituts schwanger geht und ich undankbar gegen das Ministerium zu handeln glaubte, das mich auf meinen Reisen unterstützte.“ Nun wurde aber leider aus Berlin nichts, und der Ruf im Oktober desselben Jahres nach Dresden brachte eine neue, willkommene Wendung.
Doch zunächst müssen wir noch von Berlin weiter berichten. Im vorerwähnten Briefe ist ebenfalls zu lesen, daß Reissiger ein Fixum von 500 Talern am musikalischen Lehrinstitut erhielt, also hatte er binnen kurzer Zeit, 100 Taler zugelegt bekommen. Dabei brauchte er nur wenig Unterricht zu erteilen, so daß er durch Privatstunden noch viel verdienen konnte. ‚Er steigerte‘ sein Einkommen auf 900 bis 1000 Taler. Seine kompositorische Tätigkeit war auch wieder neu belebt und erfolgreich. Die von der Reise mitgebrachte Oper „Der Ahnenschatz ließ er zwar unbeendet liegen, weil
ihm die textlich zu große Ähnlichkeit mit dem Freischütz immer mehr unpassend erschien, aber die Ouvertüre, die bei Hofmeister in Leipzig gedruckt wurde, fand überall Aufnahme. Seine Lieder wurden gern gesungen. Besonders Madame Schultz, die bedeutendste Sängerin neben der großen Catalani, machte Reissigers Gesänge populär. Nun wurde Reissiger 1826 auch aktives Mitglied der Berliner Singakademie. Für sie komponierte er und wirkte ebenfalls als reproduzierender Künstler. Auch wurde er mit Rellstab, dem Kritiker der Vossischen Zeitung‚ und Ludwig Berger befreundet. Reissiger schien in Berlin seit der kurzen Zeit seiner Rückkehr sogar außerordentliches Aufsehen als Künstler zu machen, so daß sogar Spontini, der Generalmusikdirektor (seit 1820 in Berlin herrschend, dabei nicht immer altruistisch denkend), ihn mit Angst betrachtete. Dieser hatte bereits C. M. v. Webers Wunsch, in Berlin Kapellmeister zu werden, zu zerstören verstanden. Nun erschienen aber wieder neue Anwärter, die in der deutschen Oper oder als Dirigenten etwas leisten würden, und ihm damit gefährlich werden konnten (Marschner, Reissiger usw.) Bei Rellstab lesen wir, daß Spontini bei Neubesetzung einer Musikdirektorstelle mit Absicht den berühmten F. Ries und den talentvollen Reissiger übergangen habe. Reissiger brauchte sich allerdings nicht zu grämen, denn schon winkte der neue Wirkungskreis, der für sein Leben endgültige Entscheidung brachte, die Kgl. Hofoper in Dresden.

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13. 2. 2014 von Christian